Typofikation Nr. 5
Dieter Rams’ fünfter Grundsatz zur guten Gestaltung lautet:
Gutes Design ist unauffällig
Meiner Meinung nach sind Produkte keine Lebewesen und noch nicht einmal Kunstwerke, obwohl manche Leute sie gerne dazu machen möchten. Design sollte Produkten den richtigen Platz in unserem Leben zuweisen. Aber in einem sehr tiefgreifenden und weitreichenden Sinn ist gutes Design menschlich. Es manifestiert sich in Produkten, die der Benutzer einfach und natürlich akzeptieren und mit denen er lange befreundet sein kann – ohne daß sie Illusionen erzeugen, bombastisch oder verlockend sind. Sie sollten so neutral und zurückhaltend wie möglich sein und dem Benutzer Raum lassen, sich selbst auszudrücken
Dieser Grundsatz, auf die Typografie angewendet, findet auch heute noch viele Anhänger. Gleichzeitig ist er wahrscheinlich einer der am meisten diskutierteste. Wer kennt sie nicht, die Grundsatz-Thesen, die Typografie als Mittel definieren, dessen alleiniger Zweck die möglichst ungestörte Darreichung des Textinhaltes ist. Allein bei Kurt Weidemann lassen sich zahlreiche Aussprüche finden, wie etwa:
»Schrift zum Lesen vor die Augen der Menschen zu bringen ist eine Dienstleistung. Je ruhiger, einfacher und unaufdringlicher das gemacht wird, desto besser.« Oder: »Typografen sind Dienstleute. Es ist eine Berufsgruppenbezeichnung, zu der auch Gepäckträger und Pastoren, Zahlkellner und Nationaltorwarte gehören.« (Kurt Weidemann: Worte und Werte, Hermann Schmidt Mainz, 2005; S. 114 und 122)
In den letzten Jahren scheint sich in der Typografie das, was als »dienende Funktion« verstanden wurde, zusehends zu verbreitern. Zum unauffälligen Zurücktreten und dem Primat der Lesbarkeit gesellen sich neue, wichtige Funktionen, die die Aktivierung zum Lesen als Ziel haben. Was nützt perfekt lesbare Typografie, wenn man gar nicht erst anfängt zu lesen?
Mehr und mehr werden Elemente aus der Akzidenztypografie in den Mengensatz integriert. Immer häufiger entsteht dabei auch eine visuelle Textinterpretation. Was Rams als »Illusionen erzeugen« beschreibt, könnte man auch »Phantasie anregen« nennen. Typografie emanzipiert sich aus dem neutralen Passivmodus zum aktiven Statement. Das »dient« dann – im guten Maß eingesetzt – letztlich auch dem Autor.
Wie sehen Sie das? Ist für Sie gute Typografie unauffällig?
Die 5. These der Ramsifikationen in der Fassung aus dem Jahr 1990 ist zitiert aus Rams, Dieter: Die leise Ordnung der Dinge. 1. Auflage. Steidl Verlag. Das Foto stammt von der Sammlung Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Fotograf: Armin Herrmann
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