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Buchbesprechung

Design für alle – ein neues Standard­werk?

Michi Bundscherer
30. Dezember 2024
Wie kann Design nicht nur die Lesbarkeit verbessern, sondern auch gesell­schaftliche Teilhabe fördern? Sabina Sieghart und Rudolf Paulus Gorbach liefern mit »Gutes Design für Leichte Sprache« eine über­zeugende Antwort. Das Studien- und Praxisbuch zeigt mit wissen­schaft­lichem Tiefgang, wie Design und Typo­grafie helfen können, Barrieren abzubauen und Kommu­ni­kation für alle zugänglich zu machen. Was dieses Buch so besonders macht? Wir haben die Print-Ausgabe gelesen.
Titel des Buches: Gutes Design für Leichte Sprache
Der erdbeerrote Einband von »Gutes Design für Leichte Sprache« erinnert an Tolstois »Krieg und Frieden« – ebenso vielschichtig, aber ohne dessen Schwere.

Ich gebe zu: Diese Buch­kritik ist viel­leicht nicht ganz unvor­ein­ge­nommen. Viele der Autor:innen und natürlich die Herausgeber:innen des kürzlich erschienenen Buches »Gutes Design für Leichte Sprache« sind der tgm eng verbunden. Einige haben bereits in unseren Seminaren oder der kürzlich abge­schlossenen Fach­vor­tragsreihe ihr Wissen geteilt. Umso mehr freuen wir uns, dass nun auch das lange ange­kündigte Fachbuch endlich erschienen ist.

Warum Empfeh­lungen für Leichte Sprache?

Im Jahr 2014 empfahl der erste Ratgeber der Bundes­re­gierung zur Leichten Sprache: »Schnör­kellose Schrift, zum Beispiel Arial oder Verdana, Schrift-Größe 14 oder größer.« Dies geht wahr­scheinlich auf den Anfang der 90er Jahre zurück, als Arial neben Times New Roman und Courier zu den Standard-Fonts von Windows 3.1 zählte – und die Arial tatsächlich die leser­lichste Wahl unter diesen Optionen war.

Seitdem haben sich jedoch Forschung und Praxis erheblich weiter­ent­wickelt. Mit der DIN SPEC 33429 und dem Barrie­re­frei­heits­s­tär­kungs­gesetz (BFSG) rückt das Thema Barrie­re­freiheit weiter in den Fokus. Die DIN-Norm berück­sichtigt nicht nur sprachliche, sondern auch gestal­te­rische Aspekte der Barrie­re­freiheit. Trotzdem hält sich das »Arial-Dogma« hart­näckig.

Das Buch »Gutes Design für Leichte Sprache« von Sabina Sieghart und Rudolf Paulus Gorbach räumt mit Mythen wie diesem auf und zeigt, wie barrie­refreie Gestaltung heute gelingt – fakten­basiert und praxisnah.

Struktur und Inhalte

Das Buch gliedert sich in drei Bereiche – Theorie, Praxis und Reali­sierung. Schon hier wird klar, dass sowohl für Wissen­schaftler:innen und Studierende als auch Praktiker:innen ange­sprochen werden sollen.

1. Theorie: Die Grundlagen guter Gestaltung

Im ersten Teil des Buches legen die Autor:innen die theo­re­tischen Grundlagen.

Jürgen Spitz­müller beschreibt in seinem Beitrag, wie Text­ge­staltung den Sinn eines Textes prägt und warum klare visuelle Strukturen essenziell sind. Martin Tiefen­thaler ergänzt diese Perspektive mit der span­nenden These, dass unser Körper bereits unbewusst entscheidet, ob ein Text einladend wirkt – lange bevor der Geist den Inhalt erfasst.

Ann Bessemans erklärt, wie mikro- und makro­ty­po­gra­fische Entschei­dungen die Lesbarkeit und Verständ­lichkeit beein­flussen, und liefert wissen­schaftlich fundierte Leit­linien. Bettina M. Bock hinterfragt schließlich, was einen »guten« Text in Leichter Sprache ausmacht, und zeigt, dass maximale Einfachheit nicht immer die beste Lösung ist.

Verena Reinhard beleuchtet die Unter­schiede zwischen Leichter und Einfacher Sprache und zeigt, wie die Leichte Sprache in den 1970er-Jahren aus den USA ihren Weg nach Deut­schland fand. Den Abschluss bildet Rudolf Paulus Gorbach, der den Entste­hungs­prozess der DIN SPEC 33429 nach­zeichnet und ihre Bedeutung als verbind­lichen Standard für Leichte Sprache erläutert.

2. Praxis: Typo­grafie, Schriftwahl und Layout

Der zweite Teil des Buches widmet sich der prak­tischen Umsetzung.

Gorbach zeigt, wie ein geschickt gestalteter Satz­spiegel, klare Raster und passende Seiten­formate den Lesefluss erheblich erleichtern können. Antonia M. Cornelius und Albert-Jan Pool liefern fundierte Erkenntnisse zur Schriftwahl für Leichte Sprache: In bestimmten Kontexten können Schriften mit Serifen besser funk­tio­nieren als seri­fenlose Schriften.

Ein Vertrag sieht anders aus als ein Flyer: Sabina Sieghart erläutert die Bedeutung der gattungs­spe­zi­fischen Gestaltung. Diese visuellen Hinweise bieten Orien­tierung – besonders auch für Leser:innen der Leichten Sprache. Birgit Walter und Juliane Wenzl zeigen schließlich, wie Illus­tra­tionen und Abbil­dungen Inhalte greifbarer und zugäng­licher machen können.

3. Reali­sierung: Barrie­refreie Kommu­ni­kation umsetzen

Im dritten Teil stehen die tech­nischen Aspekte im Fokus.

Wolf Kamm und Hans Neumair erläutern detailliert, wie barrie­refreie PDFs erstellt werden können. Dabei zeigen sie auf, wie eine struk­tu­rierte Arbeitsweise bereits im Workflow helfen kann, tech­nische Barrie­re­freiheit sicher­zu­stellen.

Spannend ist auch das Kapitel von Björn Rohles und Sabina Sieghart, das sich den Heraus­for­de­rungen und Poten­zialen des digitalen Raums widmet. Mensch­zen­triertes Design kann gerade in digitalen Produkten Barrieren abbauen, denn sie sind häufig die erste Schnitt­stelle zwischen Menschen und Infor­ma­tionen.

Den Abschluss bildet ein praxisnahes Fall­beispiel von Anna Kornbrodt und Sabina Sieghart, das die barrie­refreie Erwei­terung eines Corporate Designs beleuchtet. Das Beispiel der Elbkinder eGmbH zeigt, wie Leichte Sprache nicht nur gestal­terisch, sondern auch orga­ni­sa­torisch in die Kommu­ni­ka­ti­onss­trategie inte­griert werden kann. Die Umsetzung erfordert dabei nicht nur tech­nisches Know-how, Sie ist auch eine kulturelle Heraus­for­derung, die Geduld und die Einbindung aller Betei­ligten erfordert.

Mehrwert und Stärken

Bereits beim ersten Durch­blättern von »Gutes Design für Leichte Sprache« fällt die klare Struktur auf. Das Buch vereint Forschungs­grundlagen mit konkreten Lösungswegen in gut lesbaren und praxisnah geglie­derten Kapiteln. Als Teil der UTB-Reihe, einer wissen­schaft­lichen Taschen­buchreihe für Studierende und Lehrende, zeigt es seinen akade­mischen Anspruch durch die durch­dachte Verbindung von Theorie und Praxis sowie die umfang­reichen Lite­ra­tur­hinweise. Diese machen es nicht nur ideal für den Einsatz in Lehr­ver­an­stal­tungen, sondern unter­stützen zugleich die Vertiefung der behan­delten Themen.

Besonders hervor­zuheben ist die Vielfalt der Perspektiven: 14 Autor:innen aus den Bereichen Typo­grafie, Linguistik und Desi­gnfor­schung garan­tieren eine um­fas­sende Betrachtung. Beiträge von renom­mierten Fach­leuten wie Ann Bessemans, Sabina Sieghart und Jürgen Spitz­müller treffen auf praxis­o­ri­en­tierte Ansätze von Antonia M. Cornelius und Albert-Jan Pool. Diese gelungene Allianz aus Theorie und Praxis bereichert das Werk enorm.

Auch die Gestaltung des Buches trägt zum positiven Gesamt­eindruck bei. Die klare Typo­grafie – die seri­fen­betonte »Portada Text« für den Fließtext und die seri­fenlose »Ebony« für Über­schriften und Margi­nalien – unter­stützt die Lesba­r­keit und passen zum Thema. Das Groß­format von 17 cm × 24 cm ist handlich und bietet dennoch ausreichend Platz für Abbil­dungen und groß­zügigen Weißraum. Die stabile Klebe­bindung verspricht eine lange Halt­barkeit – ein wichtiges Merkmal für ein Arbeitsbuch, das hoffentlich häufig genutzt wird.

Die gestal­te­rische Zurück­haltung des Buches ist funk­tional und auf Lesbarkeit ausge­richtet, auch wenn einzelne Farb­kon­traste stel­lenweise etwas kräftiger ausfallen könnten. Das Cover, im typischen Design anderer utb-Fach­bücher, ist durch seine rote Farb­gebung prägnant und erfüllt seinen Zweck. Das Layout ist ange­messen und unter­stützt durch ihre Schlichtheit das zentrale Anliegen: die Vermittlung von Inhalten in einer klaren und lesbaren Form.

Mit diesem Buch zeigen Sabina Sieghart und Rudolf Paulus Gorbach, dass Leichte Sprache keine bloße sprachliche Verein­fachung ist. Vielmehr handelt es sich um eine Disziplin, die Präzision, Empathie und gestal­te­risches Können erfordert. Diesen Anspruch erfüllt auch dieses Buch: Einen inspi­rie­render Werk­zeug­kasten für alle, die barrie­refreie Kommu­ni­kation durchdacht und fundiert gestalten möchten.

Kritik­punkte

Ange­sichts der genannten Stärken fällt es schwer, bei diesem Buch Verbes­se­rungs­po­tenzial zu finden. Inhaltlich überzeugt es mit fundierten Grundlagen, einer klaren Struktur und der gelungenen Verbindung von Theorie und Praxis.
Dennoch hätte ein stärkerer Fokus auf die Unter­schiede zwischen digitalem und analogem Design die Relevanz für aktuelle Anwen­dungs­felder eventuell noch erhöhen können. Auch kompakte Check­listen oder weitere Best-Practice-Über­sichten, wären evtl. hilfreich gewesen. Positiv zu bewerten ist jedoch, dass die vielen weiter­füh­renden Links und Quellen, die teils über QR-Codes zugänglich sind, eine vertiefte Ausein­an­der­setzung ermög­lichen und diese digitalen Hilfs­mittel die Themen sinnvoll ergänzen.

Die Betei­ligung vieler verschiedener Autor:innen zeigt sich deutlich: Sprachlich und struk­turell unter­scheiden sich die einzelnen Beiträge merklich. Während die unter­schied­lichen Sicht­weisen und Ansätze die Vielfalt des Themas bereichern, wirken die Übergänge zwischen den Kapiteln teils unein­heitlich. Die nahtlose Wahr­nehmung der einzelnen Beiträge als kohä­rentes Gesamtwerk wird dadurch erschwert.

Fazit

Sabina Sieghart und Rudolf Paulus Gorbach, beide renom­mierte Mitglieder der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München, ist mit ihrem Werk »Gutes Design für Leichte Sprache« ein wegwei­sender Beitrag zum modernen Kommu­ni­ka­ti­ons­design und zur barrie­re­freien Gestaltung gelungen. Es kann zurecht als Stan­dardwerk betrachtet werden und sollte in keiner Bibliothek fehlen.

Die Autor:innen zeigen über­zeugend: Leichte Sprache ist nicht nur für Menschen mit Lern­schwie­rig­keiten wichtig. Als univer­selles Prinzip verbessert es die Kommu­ni­kation für alle. Typo­grafie und Design werden hier nicht auf ästhe­tische Aspekte reduziert, sondern als funk­tionale, menschen­zen­trierte Werkzeuge begriffen, die univer­sellen Zugang zu Infor­ma­tionen schaffen.

Einmal mehr zeigt sich: Gute Typo­grafie und gutes Design sind weit mehr als gestal­te­rische Diszi­plinen. Sie erfordern Haltung und Verant­wortung, leisten einen entschei­denden Beitrag zum Abbau von Barrieren und fördern Inklusion.

Sabina Sieghart (Hrsg.) und Rudolf Paulus Gorbach (Hrsg.)
Gutes Design für Leichte Sprache.
Theorie und Praxis zur DIN SPEC 33429
1. Auflage, 272 Seiten, Format: 17 × 24 cm
Verlag Julius Klinkhardt
27,90 EUR (für die Print-Ausgabe)
ISBN 978–3–8252–6307–2
eISBN 978–3–8385–6307–7

Prüfex­emplare für Hoch­schul­lehrende verfügbar:
www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838563077

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