Das traditionelle Buch als perfekte Lesemaschine
Der überragende Vorteil des gut gestalteten Buches gegenüber den bisherigen Versuchen, elektronische Bücher zu erzeugen, steht im Mittelpunkt des Textes von Roland Reuß, Literaturwissenschaftler. Seine Ausführungen entspringen dem Bedürfnis nach visuell gut interpretierten Inhalten und sind daher besonders bemerkenswert, da seine Zunft sonst selten Wert auf gute Typografie legt. Dementsprechend kritisch geht Reuß ins »Gericht«.
Das gedruckte Buch »ist eben nicht einfach nur eine gedruckte Datei«. Die typografische Gestaltung und das Ergebnis der analogen Buchproduktion lassen sich in digitalen Präsentationsformen nicht erreichen.
Zur Schärfung der Urteilskraft in der Wahrnehmung von Büchern errichtete Reuß ein Breviarium, in dem er alphabetisch geordnet Qualität in der Buchgestaltung reflektiert. Es beginnt mit dem Apostroph und endet mit dem zweispaltigen Satz. Dabei geht es nicht nur um Fehler in der Typografie, sondern betont auch die handwerklich sinnvollen Aspekte, die durch kluge wissenschaftliche und philosophische Überlegungen untermauert werden.
Über Ethik beispielsweise schreibt Reuß, dass die Ethik einer Buchgestaltung nur eine handwerkliche sein könne. Jede gestalterische Entscheidung wird konsequent reflektiert, jede Willkür vermieden. Besonders schlimm findet er, dass sich im digitalen »Buch« je nach Ausgabegerät nicht einmal die Anzahl der Buchstaben pro Zeile festlegen lässt, was für ihn die ganze Tradition des abendländischen Buches in Frage stellt. Hinzu kommt das »allgegenwärtige Content-Gerede«.
Gelungene Typografie sieht Reuß »als die Kunst der Kunstlosigkeit. Sie durchdringt gestalterisch jedes noch so kleine Detail, darf aber nie als solches in Erscheinung treten«. Viele Begriffe werden nach ihrem Gebrauchswert untersucht, wie Fadenheftung, Laufrichtung oder Kaltleim, deren qualitative Möglichkeiten von vielen Verlagen ignoriert werden.
Bewusste Buchgestalter werden sich nach der Lektüre erfreut bestätigt fühlen. Anderen könnte es helfen, ihr Handwerk besser auszuführen.
Roland Reuß
Die perfekte Lesemaschine
Zur Ergonomie des Buches
(Hg. von Klaus Detjen), Band 04
88 Seiten
Englische Broschur
Wallstein Verlag, Göttingen 2015
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