typographische
zitate
Gute Typo­graphie ist ganz und gar nicht von auffälligen und sonderbaren Schriften abhängig. Dies meint nur der uner­fahrene.
Jan Tschichold

Typographische
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Buchbesprechung

Das traditionelle Buch als perfekte Lesemaschine

Rudolf Paulus Gorbach
8. Juli 2015
Die Unzu­läng­lich­keiten elek­tro­nischer Bücher hinsichtlich der typo­gra­fischen Gestaltung und der visuellen Qualität sind ein zentrales Thema im Text von Roland Reuß. Gedruckte Bücher sind für Reuß nicht nur Träger von Infor­ma­tionen, sondern auch ästhe­tische Objekte, die eine sinnliche Erfahrung bieten, die bisher von elek­tro­nischen Formaten nicht erreicht wird.

Der über­ragende Vorteil des gut gestalteten Buches gegenüber den bisherigen Versuchen, elek­tro­nische Bücher zu erzeugen, steht im Mittelpunkt des Textes von Roland Reuß, Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler. Seine Ausfüh­rungen entspringen dem Bedürfnis nach visuell gut inter­pre­tierten Inhalten und sind daher besonders bemer­kenswert, da seine Zunft sonst selten Wert auf gute Typo­grafie legt. Dement­sprechend kritisch geht Reuß ins »Gericht«.

Das gedruckte Buch »ist eben nicht einfach nur eine gedruckte Datei«. Die typo­gra­fische Gestaltung und das Ergebnis der analogen Buch­pro­duktion lassen sich in digitalen Präsen­ta­ti­ons­formen nicht erreichen.

Zur Schärfung der Urteilskraft in der Wahr­nehmung von Büchern errichtete Reuß ein Breviarium, in dem er alpha­betisch geordnet Qualität in der Buch­ge­staltung reflektiert. Es beginnt mit dem Apostroph und endet mit dem zwei­spaltigen Satz. Dabei geht es nicht nur um Fehler in der Typo­grafie, sondern betont auch die hand­werklich sinn­vollen Aspekte, die durch kluge wissen­schaftliche und philo­so­phische Über­le­gungen unter­mauert werden.

Über Ethik beispielsweise schreibt Reuß, dass die Ethik einer Buch­ge­staltung nur eine hand­werkliche sein könne. Jede gestal­te­rische Entscheidung wird konsequent reflektiert, jede Willkür vermieden. Besonders schlimm findet er, dass sich im digitalen »Buch« je nach Ausga­begerät nicht einmal die Anzahl der Buch­staben pro Zeile festlegen lässt, was für ihn die ganze Tradition des abend­län­dischen Buches in Frage stellt. Hinzu kommt das »allge­gen­wärtige Content-Gerede«.

Gelungene Typo­grafie sieht Reuß »als die Kunst der Kunst­lo­sigkeit. Sie durch­dringt gestal­terisch jedes noch so kleine Detail, darf aber nie als solches in Erscheinung treten«. Viele Begriffe werden nach ihrem Gebrauchswert untersucht, wie Faden­heftung, Lauf­richtung oder Kaltleim, deren quali­tative Möglich­keiten von vielen Verlagen ignoriert werden.

Bewusste Buch­ge­stalter werden sich nach der Lektüre erfreut bestätigt fühlen. Anderen könnte es helfen, ihr Handwerk besser auszu­führen.

Roland Reuß
Die perfekte Lese­ma­schine
Zur Ergonomie des Buches

(Hg. von Klaus Detjen), Band 04
88 Seiten
Englische Broschur
Wallstein Verlag, Göttingen 2015

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