Lesearten im Übergang und eine hybride Gestaltung? Fure 5
Die Auflagen der Zeitungen (und Bücher) sinken, Digitalabos bringen kaum Gewinne, und immer mehr Menschen verstehen nicht mehr, was sie lesen. Ernüchternde Zahlen, aber ein Fünkchen Hoffnung bleibt. Und die Erkenntnis, dass Bücher zu lesen (also das vertiefte Lesen auf Papier) ein wichtiger Baustein für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist und überlebenswichtig für unsere Demokratie.
Papier oder Bildschirm? Karin Schmidt-Friderichs verwies auf Schweden und Dänemark, Vorreiter bei der Digitalisierung im Schulunterricht, die letztes Jahr eine Kehrtwende vollzogen haben. Das renommierte schwedische Karolinska Institut belegte nämlich, dass das Lernen mit digitalen Medien nachweislich mehr Schaden als Nutzen bringe und empfahl eine Rückbesinnung auf »Wissenserwerb über gedruckte Schulbücher und das Fachwissen des Lehrers« (Stellungnahme auf Deutsch als PDF: https://xn—die-pdagogische-wende-91b.de/wp-content/uploads/2023/07/Karolinska-Stellungnahme_2023_dt.pdf). Dänemarks Bildungsminister Mattias Tesfaye entschuldigte sich sogar bei den Schulkindern dafür, dass sie als »Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment« missbraucht wurden. In beiden Ländern sind digitale Geräte im Unterricht nun nicht mehr zugelassen (nur in seltenen Ausnahmefällen). Anlass, auch hierzulande neu nachzudenken
Wie gut andererseits digitale Medien und Plattformen für Leseempfehlungen taugen, wissen wir spätestens seit dem Hype um Bücher auf #booktok. So postete Alex Aster 2021 ein Video mit einer Buchidee, das viral ging; die Filmrechte waren verkauft, noch bevor 2022 Lightlark als Buch erschien. Referentin Julia Echterhoff hat sich mit solchen Phänomen beschäftigt und zusammen mit Annette Coumont books4future gegründet.
Website und Instagram-Kanal gingen 2022 an den Start. Hier geben junge Menschen anderen jungen Menschen Lektüretipps (ja, auch der Lehrer Benni Cullen macht mit, recht erfolgreich übrigens). Zielgruppe ist die Generation Z der zwischen 1996 und 2012 Geborenen. Die Botschaft: »Wissen ist der Schlüssel zum Verständnis der Zusammenhänge von Umwelt- und Klimaschutz, Biodiversität und sozialer Gerechtigkeit.« Empfohlen werden entsprechende Literatur und Sachbücher, etwa auch zu Fair Fashion, Mobilität, Demokratie, Rassismus, LGBTQ und Geschlechtergerechtigkeit. Aber, das sei nicht verschwiegen, die Generation Z liest auch gern ganz andere Genres: Genres New Adult, Romantasy, Enemies to Lovers, Graphic Novels, Splatterpunk usw.
Typografie – statisch und dynamisch
Für die Leserlichkeit und Lesbarkeit entstand eine Statik der Typografie. Die ist dafür ganz wesentlich und so sehen Bücher auch aus. Philipp Pape holt weit aus, erwähnt und zeigt die Gesetzestexte des Codex Hammurabi oder geht auf die Enzyklopädie Diderots zurück. Er erwähnt nebenbei, dass die Keilschrifttafeln die Größe unserer heutigen Smartphones haben. Aber wie verändert sich die Typografie gegenüber dem ausgereiften Printbereich nun im Digitalen?
Im Printbereich sind durch Hans Peter Willberg und Friedrich Forssman längst Standards der Lesearten definiert worden (Willberg, Forssman: Lesetypografie, 1995. Willberg hatte jedoch seine Theorien zu den Lesearten bereits 1975 in der Zeitschrift Polygraph und 1977 im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel als Aufsatzfolge publiziert). Lesen und Lesbarkeit sind längst Forschungsschwerpunkte. So gibt es ein Netzwerk Leseforschung, Frank Rausch zeigt klare Vorschläge zur Typografie im digitalen Bereich (und erwähnen möchte ich auch die Gruppe »Lesbar«, in der die beiden Autoren dieses Beitrags aktiv sind). Lesen für Sehbehinderte ist ein wichtiges Thema geworden bis zum Lesen innerhalb der Anwendung von Leichter Sprache.
Beachtlich ist, wie intensiv und gut Typografie in den Online-Ausgaben von Zeitungen gestaltet ist (Süddeutsche Zeitung, Die Zeit). Auch Paratexte verdienen die Sorgfalt für eine optimale Lesbarkeit. Doch gibt es immer noch keine theoretischen Richtlinien für Typografie auf den Bildschirmen, da das Thema durch die unterschiedlichen Medienformate so »fluid« geworden ist. Für mehr »orientierendes« Lesen braucht es noch einige Anstrengungen. Kann die KI helfen?
Schriftgestaltung
Einblick in den »Alltag des Schrifthandwerks« boten die TypeMates; wegen des Bahnstreiks referierten nur zwei (Jakob Runge fehlte als Streikopfer genauso wie übrigens auch Dr. Angelika Nollert, Direktorin »Die Neue Sammlung – The Design Museum der Pinakothek der Moderne München). Lisa Fischbach und Nils Thomsen zeigten etwa die Entwicklung der extrem variantenreichen Schulschriften für Worksheet Crafter (WsC), mit denen Lehrende für ihre Schüler:innen Arbeitsblätter gestalten können; sie stellten die Arbeit an der FC Bayern Sans (inzwischen mit vielen Erweiterungen zur Großfamilie) und die immo Sans für Mengensatz auf kleinen Bildschirmen. Ungeheuer viel Detailarbeit. Alles im Dienste der Lesefreundlichkeit.
Nachrichtenbeschaffung und Medienkompetenz
In unserer Zeit mit Fake News und unkontrollierbarer massenhafter Beeinflussung brauchen wir verlässliche Orientierung. Für ihre Bachelorarbeit an der FH Münster haben Stella Schafrick und Lia-Charleen Langer unter dem Motto »Be informed, not influenced« die fiktive »Initiative proof« ins Leben gerufen. Als Maßnahme zur Förderung von Medienkompetenz und Qualitätsjournalismus. Es geht darum, sich kritisch mit Nachrichten und ihren Quellen auseinanderzusetzen. Die »Initiative proof« will der Leserschaft mit Website und Proofletter Werkzeuge an die Hand zugeben, um unwahre von wahren Nachrichten unterscheiden zu können.
Ganz und gar real ist das, was Olaf Wittrock, Mitgründer und Partner der Wirtschaftsredaktion »wortwert«, unter dem Titel »Futtersuche. Eine neu Art des Nachrichtenkonsums« präsentierte. Zwei seiner unter anderem durch die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalysen (AWA, Institut für Demoskopie Allensbach) gestützten Erkenntnisse:
– »Das Archiv-Medium Internet verdrängt den zielgerichteten Medienkonsum.«
– »Die Gesellschaft ist in ihrem Medienkonsum und Leseverhalten gespalten. Es stehen einander gegenüber: eine überinformierte Informationselite und ein Informationsprekariat«.
Künstliche Welten
Einen Praxis-Einblick in ihre Arbeit gaben Teresa Döge und Florian Riedel von der Designagentur amatik. So finden sie bei ihrer Arbeit für den Landtag Schleswig-Holstein, dass die Navigation essentiell schriftbezogen ist. In einem anderen Projekt geht es um Unorte der Stadt und gleichzeitig eine historische Sicht auf Gebäude. Die gegebene Schrift in historischen Dokumenten oder Fotografien ist ihnen dabei besonders wichtig. Bei einer geplanten Übungsplattform für Feuerwehren geht es dann schon mehr um Bilder auf der Datenbrille. Da wäre interessant, was mit der Typografie geschieht.
Mike John Otto ist da schon viel weiter. Er betont das Dasein zwischen Lesen und Kreativität, stellt sich auch mal Welt ohne Literatur vor, sieht kulturelle Einflüsse und Bedeutungen. Will aber letztlich Menschen zu Markenfans machen. Und darum geht es Otto auch in seinen hochkomplexen Filmen. Die digitale Bildwelt dominiert. Marken und Kultur werden hier zusammengebracht. Die Kunst bleibt wichtig und beeinflusst. Aber gleichzeitig bleibt das Lesen so wichtig. Natürlich sind Gaming oder Netflix hierfür bedeutend.
Beim Gestalten stellt er das Gefühl für Fotografie hervor, die Stilistik, wie Filme aussehen, wie Popkulturen laufen oder funktionieren. KI ist als Vorteil zu sehen. Und kreativ bei einer KI-Realisierung ist der Regisseur und nicht die KI. Werbung wird aus dem Content entwickelt und Lesen und Schreiben sieht Otto als Schlüssel zu neuen Bildern.
Hoffnung für den Designberuf
Mit Ruhe und sicherer Bestimmtheit erzählt Thomas Poschauko über seinen Werdegang und auch sein Leben. Wie kann man im Zeichen von Ki und Automation die eigene Passion bewahren? Zwischen Ästhetik und Machen, Lesen als Gang in die Tiefe und die »Gesundheit der kreativen Seele«. Sein Interesse an Avantgarde-Design neben dem Großvater, der bildender Künstler war. Die praktische Gestaltung bringt viel Erfahrung. Aber gleichzeitig sei nichts manifestiert. Er sieht das Machen als Voraussetzung des Denkens und Denkmodelle als Voraussetzung des gestalterischen Machens. Das Handwerkliche und Digitale zusammenbringen, Analogien erkennen, die Stärken der Visuellen Kommunikation hervorheben.