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Ich halte Carson für den wesent­lichen Initiator der Jetztzeit, aber ich halte die Tradition für genauso wichtig.
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Lesearten im Übergang und eine hybride Gestaltung? Fure 5

Silvia Werfel
Rudolf Paulus Gorbach
25. März 2024
Wie verändern sich Lese­ver­halten und Infor­ma­ti­ons­be­schaffung? Und was bedeutet das für unsere Demo­kratie? Solche Fragen standen im Fokus der »the Future of Reading«. Zum fünften Mal luden Prof. Rüdiger Quass von Deyen und Patrick Marc Sommer zur FURE-Konferenz an der MSD (Münster School of Design) ein. Und die Reise dorthin lohnte sich.

Die Auflagen der Zeitungen (und Bücher) sinken, Digi­talabos bringen kaum Gewinne, und immer mehr Menschen verstehen nicht mehr, was sie lesen. Ernüch­ternde Zahlen, aber ein Fünkchen Hoffnung bleibt. Und die Erkenntnis, dass Bücher zu lesen (also das vertiefte Lesen auf Papier) ein wichtiger Baustein für die Teilhabe am gesell­schaft­lichen Leben ist und über­le­bens­wichtig für unsere Demo­kratie.

Karin Schmidt-Friederichs als Referentin
Die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs im ersten Vortrag der Fure 5.

Papier oder Bild­schirm? Karin Schmidt-Friderichs verwies auf Schweden und Dänemark, Vorreiter bei der Digi­ta­li­sierung im Schul­un­terricht, die letztes Jahr eine Kehrtwende vollzogen haben. Das renom­mierte schwe­dische Karo­linska Institut belegte nämlich, dass das Lernen mit digitalen Medien nach­weislich mehr Schaden als Nutzen bringe und empfahl eine Rück­be­sinnung auf »Wissen­s­erwerb über gedruckte Schul­bücher und das Fach­wissen des Lehrers« (Stel­lungnahme auf Deutsch als PDF: https://xn—die-pdago­gische-wende-91b.de/wp-content/uploads/2023/07/Karo­linska-Stel­lungnahme_2023_dt.pdf). Dänemarks Bildungs­mi­nister Mattias Tesfaye entschuldigte sich sogar bei den Schul­kindern dafür, dass sie als »Versuchs­ka­ninchen in einem digitalen Expe­riment« miss­braucht wurden. In beiden Ländern sind digitale Geräte im Unterricht nun nicht mehr zuge­lassen (nur in seltenen Ausnah­me­fällen). Anlass, auch hier­zulande neu nach­zu­denken

Wie gut ande­rerseits digitale Medien und Platt­formen für Lese­emp­feh­lungen taugen, wissen wir spätestens seit dem Hype um Bücher auf #booktok. So postete Alex Aster 2021 ein Video mit einer Buchidee, das viral ging; die Film­rechte waren verkauft, noch bevor 2022 Lightlark als Buch erschien. Refe­rentin Julia Echt­erhoff hat sich mit solchen Phänomen beschäftigt und zusammen mit Annette Coumont books4­future gegründet.

Illustration zeigt mehrere Studierende mit Schild »Stoppt das Büchersterben«
Key Visual der Plattform book4future © Franzi Zobel

Website und Instagram-Kanal gingen 2022 an den Start. Hier geben junge Menschen anderen jungen Menschen Lektü­retipps (ja, auch der Lehrer Benni Cullen macht mit, recht erfolgreich übrigens). Ziel­gruppe ist die Gene­ration Z der zwischen 1996 und 2012 Geborenen. Die Botschaft: »Wissen ist der Schlüssel zum Verständnis der Zusam­menhänge von Umwelt- und Klima­schutz, Biodi­versität und sozialer Gerech­tigkeit.« Empfohlen werden entspre­chende Literatur und Sach­bücher, etwa auch zu Fair Fashion, Mobilität, Demo­kratie, Rassismus, LGBTQ und Geschlech­ter­ge­rech­tigkeit. Aber, das sei nicht verschwiegen, die Gene­ration Z liest auch gern ganz andere Genres: Genres New Adult, Romantasy, Enemies to Lovers, Graphic Novels, Splat­terpunk usw.

Typo­grafie – statisch und dynamisch

Für die Leser­lichkeit und Lesbarkeit entstand eine Statik der Typo­grafie. Die ist dafür ganz wesentlich und so sehen Bücher auch aus. Philipp Pape holt weit aus, erwähnt und zeigt die Geset­zestexte des Codex Hammurabi oder geht auf die Enzy­klopädie Diderots zurück. Er erwähnt nebenbei, dass die Keil­schrift­tafeln die Größe unserer heutigen Smart­phones haben. Aber wie verändert sich die Typo­grafie gegenüber dem ausge­reiften Print­bereich nun im Digitalen?

Philipp Pape am Vortragspult der Fure 5.
Philipp Pape setzt sich mit den Lesearten auseinander.

Im Print­bereich sind durch Hans Peter Willberg und Friedrich Forssman längst Standards der Lesearten definiert worden (Willberg, Forssman: Lese­ty­po­grafie, 1995. Willberg hatte jedoch seine Theorien zu den Lesearten bereits 1975 in der Zeit­schrift Polygraph und 1977 im Börsenblatt für den Deutschen Buch­handel als Aufsatzfolge publiziert). Lesen und Lesbarkeit sind längst Forschungs­schwer­punkte. So gibt es ein Netzwerk Lese­for­schung, Frank Rausch zeigt klare Vorschläge zur Typo­grafie im digitalen Bereich (und erwähnen möchte ich auch die Gruppe »Lesbar«, in der die beiden Autoren dieses Beitrags aktiv sind). Lesen für Sehbe­hinderte ist ein wichtiges Thema geworden bis zum Lesen innerhalb der Anwendung von Leichter Sprache.

Beachtlich ist, wie intensiv und gut Typo­grafie in den Online-Ausgaben von Zeitungen gestaltet ist (Süddeutsche Zeitung, Die Zeit). Auch Paratexte verdienen die Sorgfalt für eine optimale Lesbarkeit. Doch gibt es immer noch keine theo­re­tischen Richt­linien für Typo­grafie auf den Bild­schirmen, da das Thema durch die unter­schied­lichen Medi­en­formate so »fluid« geworden ist. Für mehr »orien­tie­rendes« Lesen braucht es noch einige Anstren­gungen. Kann die KI helfen?

Schrift­ge­staltung

Einblick in den »Alltag des Schrift­handwerks« boten die TypeMates; wegen des Bahn­streiks refe­rierten nur zwei (Jakob Runge fehlte als Strei­kopfer genauso wie übrigens auch Dr. Angelika Nollert, Direktorin »Die Neue Sammlung – The Design Museum der Pina­kothek der Moderne München). Lisa Fischbach und Nils Thomsen zeigten etwa die Entwicklung der extrem vari­a­n­ten­reichen Schul­schriften für Worksheet Crafter (WsC), mit denen Lehrende für ihre Schüler:innen Arbeits­blätter gestalten können; sie stellten die Arbeit an der FC Bayern Sans (inzwischen mit vielen Erwei­te­rungen zur Groß­familie) und die immo Sans für Mengensatz auf kleinen Bild­schirmen. Ungeheuer viel Detail­arbeit. Alles im Dienste der Lese­freund­lichkeit.

Anwendungsbeisiel mit der Schrift immo-Sans
Die immo-Sans von den TypeMates – Anwendungsbeispiel.

Nach­rich­ten­be­schaffung und Medi­en­kom­petenz
In unserer Zeit mit Fake News und unkon­trol­lierbarer massen­hafter Beein­flussung brauchen wir verlässliche Orien­tierung. Für ihre Bache­lor­arbeit an der FH Münster haben Stella Schafrick und Lia-Charleen Langer unter dem Motto »Be informed, not influenced« die fiktive »Initiative proof« ins Leben gerufen. Als Maßnahme zur Förderung von Medi­en­kom­petenz und Quali­täts­jour­na­lismus. Es geht darum, sich kritisch mit Nach­richten und ihren Quellen ausein­an­der­zu­setzen. Die  »Initiative proof« will der Leser­schaft mit Website und Proofletter Werkzeuge an die Hand zugeben, um unwahre von wahren Nach­richten unter­scheiden zu können.

Ganz und gar real ist das, was Olaf Wittrock, Mitgründer und Partner der Wirt­schafts­re­daktion »wortwert«, unter dem Titel »Futtersuche. Eine neu Art des Nach­rich­ten­konsums« präsen­tierte. Zwei seiner unter anderem durch die Allens­bacher Markt- und Werbe­trä­ge­r­analysen (AWA, Institut für Demo­skopie Allensbach) gestützten Erkenntnisse:

– »Das Archiv-Medium Internet verdrängt den ziel­ge­richteten Medi­en­konsum.«

– »Die Gesell­schaft ist in ihrem Medi­en­konsum und Lese­ver­halten gespalten. Es stehen einander gegenüber: eine über­in­for­mierte Infor­ma­ti­onselite und ein Infor­ma­ti­ons­pre­kariat«.

Künstliche Welten

Einen Praxis-Einblick in ihre Arbeit gaben Teresa Döge und Florian Riedel von der Desi­g­nagentur amatik. So finden sie bei ihrer Arbeit für den Landtag Schleswig-Holstein, dass die Navi­gation essentiell schrift­bezogen ist. In einem anderen Projekt geht es um Unorte der Stadt und gleich­zeitig eine histo­rische Sicht auf Gebäude. Die gegebene Schrift in histo­rischen Doku­menten oder Foto­grafien ist ihnen dabei besonders wichtig. Bei einer geplanten Übungs­plattform für Feuer­wehren geht es dann schon mehr um Bilder auf der Daten­brille. Da wäre inter­essant, was mit der Typo­grafie geschieht.

Mike John Otto ist da schon viel weiter. Er betont das Dasein zwischen Lesen und Krea­tivität, stellt sich auch mal Welt ohne Literatur vor, sieht kulturelle Einflüsse und Bedeu­tungen. Will aber letztlich Menschen zu Markenfans machen. Und darum geht es Otto auch in seinen hoch­kom­plexen Filmen. Die digitale Bildwelt dominiert. Marken und Kultur werden hier zusam­men­ge­bracht. Die Kunst bleibt wichtig und beein­flusst. Aber gleich­zeitig bleibt das Lesen so wichtig. Natürlich sind Gaming oder Netflix hierfür bedeutend.

Beim Gestalten stellt er das Gefühl für Foto­grafie hervor, die Stilistik, wie Filme aussehen, wie Popkulturen laufen oder funk­tio­nieren. KI ist als Vorteil zu sehen. Und kreativ bei einer KI-Reali­sierung ist der Regisseur und nicht die KI. Werbung wird aus dem Content entwickelt und Lesen und Schreiben sieht Otto als Schlüssel zu neuen Bildern.

Skizze einer neuen Definition des Designberufs. Es beginnt mit dem Klischee des »dekorativen« Pixelschubsers«, mündet in den multidisziplinären Bereich der Visuellen Kommunikation, wozu lebenswichtige Spezialkompetent nötig ist. Unten wird als Pyramide gezeigt, wie Grafikdesign von ganz unten in die Spitze gelangt. Der Grafik-Designer als Spezialist für Vision-Visualisierung, multidisziplinäre Kreativität, in der Kommunikation selbst und sogar für praktische visuelle Psychologie.
Eine neue Definition des Berufs des Designers von Thomas Poschauko.

Hoffnung für den Desi­gnberuf

Mit Ruhe und sicherer Bestimmtheit erzählt Thomas Poschauko über seinen Werdegang und auch sein Leben. Wie kann man im Zeichen von Ki und Auto­mation die eigene Passion bewahren? Zwischen Ästhetik und Machen, Lesen als Gang in die Tiefe und die »Gesundheit der kreativen Seele«. Sein Interesse an Avantgarde-Design neben dem Großvater, der bildender Künstler war. Die prak­tische Gestaltung bringt viel Erfahrung. Aber gleich­zeitig sei nichts mani­festiert. Er sieht das Machen als Voraus­setzung des Denkens und Denk­modelle als Voraus­setzung des gestal­te­rischen Machens. Das Hand­werkliche und Digitale zusam­men­bringen, Analogien erkennen, die Stärken der Visuellen Kommu­ni­kation hervorheben.

Blick vom Redner aus ins Publikum der Fure 5 2024 in Münster.
Blick ins gebannt zuhörende Publikum der Fure 5 in Münster.