Auch dada wird 100
Schon an drei Orten sind Dada-Ausstellungen angekündigt. Die letzte große Dada-Ausstellung fand 1993 und 1994 statt. Ein umfangreicher, sehr ruhig und klar gestalteter Katalog erinnert daran. Jetzt beschäftigen mich zunächst zwei Buch-Neuerscheinungen.
Der »dada-Almanach«, herausgegeben von Andreas Puff-Trojan und H. M. Compagnon, ist ein stattlicher Almanach mit Textbildern, Lautgedichten und Manifesten. Die Dada-Elite ist mit einer Auswahl ihrer Arbeiten repräsentiert. Das Buch hat dadaistisches Design aufgenommen, spielt mit Dada und interpretiert es. Es gibt neben Originalabbildungen auch liebevoll nachgebaute Dada-Buchstabenfiguren. Satz und Umbruch sind hervorragend von Andrea Mogwitz ausgeführt, und man spürt förmlich, wie die Gestalterin dieses Buches »gehegt« hat. Das Cover verkündet von Weitem schon: Dada. Allerdings zeigt sich das Buch auch sehr als Kind unserer Zeit. Papier und Ausstattung wirken gegenüber den eher schäbigen Dada-Originalen als sehr ästhetisch und vielleicht sogar etwas überhöht mit Lack, Prägung, offenen Deckelkanten, gelblichem, geglättetem Papier und schwarz-rotem Druck. Aber alles sehr perfekt gemacht.
Neben der Text- und Bildauswahl vieler bekannter, aber auch manch seltener publizierter Texte finden wir in einem Anhang etwas über die Dada-Weltanschauungen, die Persönlichkeiten – hier Dada-Leader genannt – und die Orte, an denen Dada zelebriert wurde.
Weniger vom Äußeren, mehr vom Inhalt – und weil es soeben erschienen ist – zeigt sich DADA als eine flüssig geschriebene Fundgrube der verworrenen Dada-Welt, doch mit einem deutlichen Bezug zu späteren Jahren bis heute. Der dadaistische Umgang mit den Gerichten in Prozessen gegen die Achtundsechziger ist nicht zu verkennen.
DADA gilt als »der explosivste, konsequenteste, schrillste und vielfältigste Versuch, Kunst, Literatur und Sprache aus den Fängen bürgerlicher Ideologie zu befreien«. Dada hatte kein Programm und wirkte und wirkt doch sehr. Die Zerrissenheit von Gedanken und Dingen, das Unübersichtliche der Zeit neben den vielen Ideen und Träumen machen die Dada-Geschichte ziemlich atemlos aufregend. Irritationen und Überdehnungen lassen Dada bald auseinanderdriften zu sehr vielen Dadas (Gurus und Meister, Orte und Länder). Diese Jahrhundertgeschichte ist spannend erzählt und sieht Dada aus einem wohltuenden Abstand.
Die Typografie des Buches verzichtet auf visuelle Dada-Anklänge, das ist auch nicht nötig. Unfreiwillig dadaistisch sind vielleicht die unlesbaren Bildlegenden (hellgrau; magere enge serifenlose Schrift).
Martin Mittelmeier
DADA. Eine Jahrhundertgeschichte
Siedler Verlag, München 2016
272 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
€ 22,99
ISBN 978–3–8275–0070–0
Andreas Puff-Trojan (Hrsg.) und H.M. Compagnon (Hrsg.)
DADA-Almanach. Vom Aberwitz ästhetischer Contradiction.
Lautgedichte – Textbilder – Manifeste
Manesse Verlag, München 2016
176 Seiten
Zweifarbig geprägter und gedruckter Pappband
220 × 220 mm
€ 39,95
ISBN 978–3–7175–4091–5
Welchen Einfluss hatte nun Dada auf die Typografie unserer Zeit? Die Schriftsetzer hatten Dada wohl eher verachtet (Fischhaufen), die Prinzipale der Druckereien vielleicht kopfschüttelnd betrachtet. Direkte Einflüsse finden sich auf die eigenen kommerziellen Arbeiten, wie beispielsweise bei Schwitters. In Reklame und Werbung brauchte es noch lange, bis man den Witz akzeptierte oder verstand. Vielleicht gehen erst Wortspiele und Typotextspielereien ab den Achtzigerjahren auf Dada zurück. Noch bin ich auf der Suche nach Arbeiten, die sich mit dem Einfluss der Dada-Typografie auf die spätere Zeit beschäftigen. Dada-Literatur und Konkrete Poesie hängen vielleicht eher zusammen. Unfreiwilligen Dada gibt es jedoch zur Genüge.
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