artDate: Serviceplan – what a story!
Es ist ein erhebendes Gefühl, die Eingangshalle der Serviceplan Group im Werksviertel München zu betreten und sich auf einem der vielen orangefarbenen Sessel niederzulassen, um auf Dr. Peter Haller zu warten, der schon bald die große schwarze Treppe herunterkommen wird, um uns zu begrüßen. In der Wartezeit betrachte ich die hochglänzenden Spiegelungen auf der Skulptur von Tony Cragg, die den Titel »Point of View« trägt. Egal aus welcher Richtung man die Skulptur betrachtet, neue Eindrücke ergeben sich automatisch, Spiegelungen des Raumes werden sichtbar, ich selbst kann mich ebenso in dem Gebilde wiederfinden.
Wir sind zu Gast im House of Communication, dem Firmensitz der Werbeagentur Serviceplan, die ebenso modernes Museum wie moderner Arbeitsplatz ist. Kunst ist dort Teil des Alltags: Über 250 Werke zeitgenössischer Kunst – darunter Skulpturen, Gemälde, Grafiken, Reliefs und Collagen – aus der privaten Sammlung von Dr. Peter Haller und Florian Haller prägen die Atmosphäre und schaffen einen inspirierenden Rahmen. Bevor wir die Kunstwerke selbst gezeigt bekommen, hören wir erst einmal die Story hinter der Corporate Collection. Ruhig und mit Bedacht beginnt Dr. Haller seinen Vortrag und erzählt unter anderem die Geschichten zu den Bildern, die wir später im Original bewundern werden. Er hat eine innige Beziehung zu seiner Sammlung, die aus Werken moderner Kunst ab 1945 besteht und immer noch weiterwächst. Dr. Haller mit seiner klaren Haltung zu den Kunstwerken wirkt unermüdlich, wenn er seine Begeisterung mit uns teilt. Er legt großen Wert darauf, Bilder anzuschaffen, die die jeweiligen Künstler:innen mit Qualität und in einzigartiger Weise geschaffen haben; es geht ihm eben nicht um Masse. Nicht allein das Betrachten des Werkes schafft dafür Bewunderung, sondern die Auseinandersetzung mit der Story und dem Hintergrundwissen macht daraus jeweils ein Erlebnis.

Nach seinem einleitenden Vortrag führt uns Dr. Haller persönlich durch die Sammlung und wir begeben uns zu den Werken von Georg Baselitz in der Eingangshalle. Das Porträt seiner Frau Elke Baselitz begeistert mich, und wir erfahren, dass die beiden seit 1962 verheiratet sind. Im ersten Stock erwartet uns ein scheinbar fliegender Lichtteppich aus Buchstaben und Symbolen, die nicht auf den ersten Blick lesbar sind. Aber das soll uns vorerst nicht interessieren, denn dem Pink der Bilder von Rupprecht Geiger können wir uns nicht entziehen. Die Reihung zeigt die Zahlen von 1 bis 10 und sind Ende der 80er-Jahre entstanden.

Werke von Anselm Kiefer ziehen uns magisch an, besonders, da die Bilder mit ihren vielen Schichten und aufgebrachten Gräsern sofort an etwas Vergängliches denken lassen und oft auch lange Zeit den Witterungsverhältnissen ausgesetzt wurden. Es ist ein großer Verdienst, dass Dr. Haller diese Bilder erwerben konnte, da Anselm Kiefer Wert darauflegt, dass seine Werke nicht in die Hände von Spekulanten fallen, denen es nur um einen hohen Marktwert geht. In den Räumen von Serviceplan können die Werke jede Woche von ca. 2000 Mitarbeiter:innen und Besucher:innen gesehen werden.
Im Mittelgang sind mehrere Skulpturen von Stephan Balkenhol platziert, seine Figuren, meist farbig bemalt, sind aus einem Holzblock geschnitzt und oft bleibt der Sockel aus Holz auch erhalten, gehört mit zum ausgestellten Kunstwerk. In einem Besprechungszimmer sehen wir das Bild von Julian Opie »Lucia5.«, das durch seine einfache Linienführung, einem Comic ähnlich, und flächiger Farbe und Größe besticht.

Am Ende der Veranstaltung erfahren wir, dass der fliegende Lichtteppich aus Buchstaben und Symbolen vom büro uebele gestaltet wurde. Die Schrift Service wurde zusammen mit dem Schriftgestalter Gabriel Richter eigens für Serviceplan entwickelt und ist nun die Hausschrift. Sie befindet sich auch an den Wänden und wird als Orientierungssystem verwendet. Sie ist in Höhe und Breite flexibel und enthält für jeden Buchstaben vier alternative Glyphen.
Wir sind begeistert und bedanken uns ganz herzlich bei Dr. Haller für die ausführliche Führung. Zum Abschluss darf sich jeder den Kunstkatalog Artperformance mit nach Hause nehmen, der alle Werke der Sammlung und deren Stories enthält. Bei einem Abschlussgetränk an der Bar können wir die letzten Fragen klären und philosophieren über die Schönheit des Raumes. What an artDate!
Weitere Infos zur Kunstsammlung: https://www.house-of-communication.com/de/de/about-us/art-collection.html
Die artDates der tgm sind ein Format, bei dem ungewöhnliche Einsichten ermöglicht werden: Besuche und Führungen durch besondere Sammlungen, Museen, Ateliers, Corporate Collections, einschließlich inspirierenden Begegnungen mit Künstlerlnnen, Fotografen, Architekten, Kuratoren. Gerne auch verbunden mit der Möglichkeit, sich handwerklich auszuprobieren und schon mal verbunden mit einem Tagesausflug. Die artDates der tgm sind ein offenes Format: Jeder kann einen Vorschlag machen. Seit vielen Jahren umsichtig von Helga Schörnig kuratiert, kultiviert begleitet von Andreas S. Müller und neugierig ausgegraben von Thomas Schlierbach.
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