typographische
zitate
Mit Schrift muss man mehr machen können als nur lesen.
Sascha Lobe, Vortrag vor der tgm am 17.7.2018

Typographische
Gesellschaft
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Event

Open-Air-Galerie Donnersberger Brücke

Helga Schörnig
10. August 2021
Es ist ein unwirk­licher Ort hier unter der Donners­berger Brücke, mit einpar­kenden Autos, Lärm und Gestank: doch die vielen Graffiti an den Brücken­pfeilern über­zeugen aus der Nähe durch ihre Ausdrucks­vielfalt und Profes­si­o­nalität. Ein artDate der besonderen Art.

Es war heiß damals, 2012, gefühlte 40 Grad. Bertram Kaiser (alias Neso) stand mit Maske auf der Leiter und sprühte an einem Wochenende seine Werke auf einen Pfeiler. Heute begleitet er uns und erklärt sach­kundig, wer die Künstler sind, die hier ihre Arbeiten ange­bracht haben. Obwohl die Szene davon lebt, dass ihre Werke vergänglich sind und sogar der Zerstörung durch das teilweise Über­sprühen, in der Fach­sprache »crossing« genannt, ausgesetzt sind, finden wir hier viele Werke aus vergangenen Zeiten. In den letzten Jahren wurden auch einige zerstörte Arbeiten durch neue ersetzt. Das ist durch das Datum als Signatur gut erkennbar. Initiator des Gesamt­projekts Open-Air-Galerie war das Münchner Künst­ler­kol­lektiv »Writers Corner München«, das zusammen mit dem Baureferat diese legale Präsen­ta­ti­ons­mög­lichkeit für Graffitis geschaffen und im Jahr 2013 eröffnet hat.

An der ersten Wand erfahren wir, dass die Werke nicht zwangs­läufig aus »einer Sprühdose« entstehen, sondern enga­gierte Leute finden sich kollegial zusammen und bringen ihre jeweiligen Interessen, Fähig­keiten und Stile ein. So mischt sich Blub­ber­schrift mit einer comi­cartigen Figur, die bekifft im Grünen raucht. Gleich daneben findet sich eine Heuschrecke mit Kettensäge, alles in knalligem Urwaldgrün. Meine Neugier liegt bei Kürls. Seine Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die Typo und Figuren aus Spiralen bestehen, die Gesichter haben spira­l­förmige Augen. Er hat sich in den letzten Jahren weiter­ent­wickelt, und am Ende der Brücke finden wir ein Werk von ihm aus dem Jahr 2020. Die Schnörkel sind verschwunden, statt­dessen steht das Verschmelzen von Farbe und geschwungener Typo im Vordergrund. Es entsteht ein sehr eigenes Bild, die Entzif­ferung des Textes wird gleich­zeitig schwierig.

Die Gruppe schlendert von Werk zu Werk, perfekt live über Kopfhörer mit Infor­ma­tionen von Bertram Kaiser versorgt: Graphism, Der blaue Vogel, I Are Ugly, Lando, Buntlack, Nuke, SatOne, Beasty Style – die Graffiti-Künstler unter­scheiden sich stark im Umgang mit der Typo. Faszi­nierend sind die dünnen Linien, die präzise wie mit einem Lineal gezogen, gesprüht wurden. Gibt es dafür eine Vorlage oder werden Hilfs­mittel eingesetzt? Wir erfahren, es gibt Bilder im Kopf, viel­leicht Vorstel­lungen oder Vorlagen. Doch das wirklich Spannende ist, unmit­telbar mit den örtlichen Gege­ben­heiten umzugehen und so das Werk entstehen zu lassen. Dabei kann es schon einmal nötig sein, ein Abflussrohr oder Löcher in der Wand in die Gestaltung mit einzu­be­ziehen.

Besonders deutlich wird dies, als Neso (Bertram Kaiser) uns seine Calli­graffiti erläutert. Es ist eine Mischung aus klas­sischer Kalli­grafie und Graffiti. Eindrucksvoll, wie die geschwungenen Linien wirken, als wären sie mit einer Feder gezeichnet. Die Umrandung der Buch­staben mit 3D-Effekt und die Schnörkel im Hintergrund zusammen mit den Blitzern geben dem Ganzen einen geschlossenen Charakter. Zu Beginn hatte Neso nur eine ungefähre Vorstellung im Kopf, wie an der Wand später ein geschlossenes Kunstwerk entstehen wird. Dabei ist es grund­sätzlich nicht zwingend notwendig, dass ein lesbarer Text entsteht, wie wir auf der Rückseite des Pfeilers sehen können.

Bei den weiteren Arbeiten in Richtung Arnulf­straße wird man von vielen parkenden Autos bedrängt. Es wird schwieriger, die mehrere Meter hohen Arbeiten in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Hier beein­druckt das Werk von Won ABC, der sich besonders dem figu­rativen Graffiti widmet und Tanja im foto­re­a­lis­tischen Stil verewigt hat.

Die anspruchsvolle Bezeichnung »Galerie« für diesen unwirk­lichen Ort trifft durchaus zu. Hier erleben wir die einzig­artige Doku­men­tation einer großen globalen Kunst­be­wegung im öffent­lichen Raum, mitten in München. In Zukunft werde ich weiterhin mit offenen Augen durch die Stadt gehen, um Verän­de­rungen wahr­zu­nehmen und neue Werke an den Wänden zu entdecken.

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