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Neutrale Typo­graphie gibt es nicht.
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Event

artDate im Double Feature

Helga Schörnig
20. Januar 2025
Sonntag Vormittag in einem ganz typischen länd­lichen Wohn­viertel in Neu-Ulm. Erstaunt schauen wir auf ein Ensemble von vier unter­schied­lichen Häusern auf einem recht frei­zügigem Grundstück und sind erstaunt, wie uns die Ausstellung »Wer wir sind: Porträts und verna­kulare Foto­grafie« präsentiert wird. The Walther Collection ist eine Kunst­stiftung, die sich mit histo­rischer und zeit­ge­nös­sischer Foto­grafie, insbe­sondere der Alltags­fo­to­grafie, beschäftigt.

»Wer wir sind« und »Home Again«

Frau Melek Baylas, Kunst­his­to­rikerin der The Walther Collection, begrüßt uns ganz herzlich an diesem Morgen im ersten, dem weißen Haus, einem licht­durch­fluteten Kubus, der das Haupt­gebäude der Sammlung darstellt. Wir gehen ins Unter­ge­schoss in den uner­wartet großen Hauptraum und laufen auf ein riesiges Bild zu: »The Lost and Found Project« von Munemasa Takahashi.

Es handelt sich um eine gigan­tische Fotowand aus lauter gleich großen Fotos, doch können wir nur bedingt was erkennen, die Fotos sind verwaschen und arg beschädigt. Als der Tsunami 2011 in Japan eine unfassbare Zerstörung anrichtete, wurden bei den Aufräum­a­r­beiten eine Vielzahl von Fotos und Alben angespült. Takahashi wollte den Menschen helfen und arbeitete bei der Orga­ni­sation »Memory Salvage« mit. Tausende Bilder wurden von ihm abfo­to­grafiert und im Internet nach ihrem Fundort kata­lo­gisiert, sodass Menschen online nach ihren Fotos recher­chieren konnten. Auf diesem Weg konnten mehr als 300 000 Bilder wieder an die Besitzer übergeben werden. Jene, die nicht zuzu­ordnen waren, sind jetzt auf dieser Fotowand zu sehen. (Ein aktueller Bezug: Opfer der verhee­renden Feuer in Los Angeles beklagen den Verlust persön­licher Erin­ne­rungen, vor allem den von Fotos.)

Die weiteren foto­gra­fischen Bilder im Raum beschäftigen sich mit dem Porträt im 19. und 20. Jahr­hundert, gegliedert nach Familie, Arbeit, Freizeit, Typen und Kontrolle. Die Grup­pen­bilder der Familien, Ausdruck der Zusam­men­ge­hö­rigkeit und für das Fami­lie­nalbum ordentlich aufge­listet, gefallen mir besonders. Ebenso die Fotos der Hand­werker, die sich mit ihren Arbeits­geräten und Werk­zeugen abbilden ließen.

Das Schwarze Haus, das wir als nächstes betreten, ist ein scheinbar normaler Bungalow, der nur durch seine äußere Farbe heraussticht. Im Keller pflegt Herr Walther zu wohnen, wenn er in Burla­fingen ist. In diesen kleinen Räumen sehen wir Fotoalben und die erzählen bewegende Geschichten, auch wenn die Menschen, die wir sehen, nicht bekannt sind. Die Alben werden bei Auktionen oder einfach auf dem Flohmarkt erworben und geben Einblick in die Geschichte oder sind private Erin­ne­rungen. Eine genaue Recherche, wer auf den Fotos gezeigt wird, ist schwierig und selten möglich.

Das Graue Haus ist das Elternhaus von Walther und die Bilder hängen in der ursprüng­lichen Wohnung im Parterre. Hier wird die Foto­grafie als Mittel zur Darstellung von Vorstel­lungen von Geschlecht und Sexu­alität des LGBTQIA-Spektrums gezeigt. Das Medium Foto­grafie scheint hier ein Freiraum, eine Bühne oder aber ein Safe Space für Menschen zu sein, von denen wir keine Infor­ma­tionen haben. Es macht auch hier neugierig mehr über die Geschichten und Erlebnisse zu erfahren.

Nach einer gemüt­lichen Mittagspause geht’s weiter im Stadthaus von Ulm, wo wir uns die Ausstellung »Home Again« ansehen. Sie zeigt Bilder von Migration, Zuhause und Erin­nerung. Christoph Draxler stellt uns die einzelnen Arbeiten vor. Die 14 Künst­ler·innen zeigen emotionale und facet­ten­reiche Arbeiten, die sich unter anderem um elementare Themen wie Klima­ver­än­derung oder die Anpas­sungs­fä­higkeit der Menschen in ihrem neuen Zuhause beschäftigen. Besonders gut gefällt mir die Video­arbeit von Minna Rainio und Mark Roberts. Wir hören die finnische Nati­o­nalhymne, die von unter­schied­lichen Menschen vorge­tragen wird, die neu in Finnland einge­bürgert wurden. Alle Prot­ago­nisten, ob Mann oder Frau entsprechen nicht unserem Bild von typischen Finnen – eine melodiöse Art, um über Vorurteile nach­zu­denken.

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