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Event

artDate: Die Kunstsammlung des Europäischen Patentamts

Dr. Hermann Iding
14. April 2025
Wofür die tgm steht, fragen Sie? Wir wollen das Blickfeld weiten, die Sinne anregen, Staunen machen, Krea­tivität entdecken, mehr verstehen, uns von Schönheit über­wältigen lassen. Und uns auch mit Kunst den Staub von der Seele waschen, um es mit den Worten eines großen Malers zu sagen.
Das ist uns jetzt wieder einmal mit dem letzten artDate gelungen, beim Besuch des Euro­pä­ischen Patentamts (EPA) in München, das uns einen Blick hinter die Kulissen und in seine Corporate Collection gewährte.

Direkt an der Isar, vis-à-vis vom Deutschen Museum, ist der Prachtbau des Euro­pä­ischen Patentamts gelegen. Das imposante Gebäude mit der bunten Fahnen­sammlung vor dem Eingang kennt vermutlich jeder Münchner. Weniger bekannt dürfte sein, dass direkt mit der Fertig­stellung des zehn­ge­schossigen Stahl­ske­lettbaus durch das Archi­tek­tenbüro Gerkan, Marg und Partner Ende der 1970er-Jahre auch die Samm­lungs­tä­tigkeit begonnen wurde. Von Anfang an war diese Kunst­sammlung inter­na­tional ausge­richtet und enthält heute weit über 1.000 Werke: Gemälde, Foto­grafien, Skulpturen, Instal­la­tionen, orts­be­zogene Auftrags­a­r­beiten (Kunst am Bau). Der uner­müdliche Drang zur Inno­vation spiegelt sich nicht nur in den Patenten wider, sondern auch im perma­nenten Erwerb neuer Werke u. a. von jungen Nach­wuchs­künstlern, die sich mit aktuellen Themen ausein­an­der­setzen, das reicht von künst­licher Intel­ligenz über Nach­hal­tigkeit bis hin zur daten­ge­steuerten Wirt­schaft.

2023 wurde anlässlich des 50. Jahrestags des in München unter­zeichneten Euro­pä­ischen Patent­über­ein­kommens ein neues grosses Areal im Souterrain des Haupt­ge­bäudes geschaffen: Auf über 3.000 qm ist so der neue Kulturraum A&T 5–10 entstanden, eine Mischung aus Ausstel­lungs­räumen, Schaulager sowie dem Bereich The European Patent Journey, der anschaulich die Geschichte und Archi­tektur des Euro­pä­ischen Patentamts von 1969 bis heute erzählt. Abge­rundet wird der Kulturraum durch die von Esther Stocker eigens gestaltete Cosmic Bar. Der Name »A&T 5–10« steht übrigens für Arts & Tech­nology und der 5.10.2023 war der bereits erwähnte 50. Jahrestag der Unter­zeichnung des Euro­pä­ischen Patent­über­ein­kommens.

Die Ausstellungs-Besucher informieren sich zu Piktogramme im Stile Otl Aicher
Piktogramme im Stile Otl Aichers sorgen auch im EPA für Orientierung

Die Neuge­staltung des Unter­ge­schosses zum Kulturraum A&T 5–10 greift die originale DNA des papierenen Paten­tak­ten­a­rchivs auf: Auf fast 1.000 qm erstreckt sich heute eine Ausstel­lungs­fläche, die ursprünglich als Regis­tratur für Paten­takten genutzt wurde. Durch die Trans­for­mation der Digi­ta­li­sierung des Paten­t­er­tei­lungs­ver­fahrens ist der ursprüngliche Zweck verloren gegangen. Wir lernen, dass ab- bzw. ausge­laufene Patente als »dead« bezeichnet werden. Hier im Kulturraum entfalten sie noch mal eine beein­druckend farbige Leben­digkeit und in der 3 × 4k-Projektion auf elf Metern Wand­breite »Pulse of the EPO« vom Berliner Künst­lerduo Quadrature sehen wir ihre Digi­ta­li­sierung. Die weltweite Patent­sta­tistik-Datenbank PATSTAT dient für diese Projektion und in freier Inter­pre­tation wird der enorme Datensatz ausgelesen. Patente sind keine Inno­va­tionen, aber viele bahn­bre­chenden Inno­va­tionen sind patentiert: MP3, die Lithium-Ionen-Batterie, CRISPR-Cas9, der Airbag, die LED-Tech­nologie – alles hier beim EPA patentiert, alles sehr kreativ und sehr in Ordnung.

Patent-Akten
Patentakten als Zeugen ordentlicher Kreativität

Bei Sicht auf die überall struk­turiert aufge­hängten, präsen­tierten Paten­takten wird mir wieder einmal klar, dass Krea­tivität viel mit Ordnung zu tun haben kann. Man muss nicht gleich so ein verbe­amtetes Verständnis von Krea­tivität haben wie der Illus­trator Christoph Niemann, der dafür bekannt ist, dass er sehr ordentlich seine Zeit von morgens bis abends am Schreibtisch absitzt und zugegeben groß­artige Werke schafft. Aber zu welchem Preis? Empfeh­lenswert in diesem Zusam­menhang die »Abstract« auf Netflix: Folge 1 zeigt hautnah, wie Niemann in Berlin arbeitet und gestaltet. Das EPA macht sichtbar, wie sich Krea­tivität in der Ordnung versteckt und durch den Kulturraum wird der Kunst Raum gegeben, wird sie sichtbar. Patente sind nicht nur dead, sondern ein Spiegel der Krea­tivität von Gesell­schaft zu einer bestimmten Zeit. Lebendiger gehts nicht.

»Pulse of the EPO«: 3 × 4k-Projektion auf elf Metern Wandbreite

Bunter schon: In dem früher als Druckerei für Behör­den­do­kumente genutzten Werk­stattraum leuchten uns 72 Farb­marken an, denn auch Farben für die werbliche Nutzung werden geschützt und wir erkennen einige sofort: Milka-Lila, Yello Strom, O2-Farb­verlauf oder die Kultfarbe Tiffany Blue mit der Pantone-Nr. 1837, gleich­zeitig auch das Jahr, in dem das Fami­li­en­un­ter­nehmen in New York gegründet wurde. Farben schützen zu lassen, ist erst seit 1995 möglich. Der Künstler Rozbeh Asmani (*1983 in Shiraz, IR) hat diese Farbwand gestaltet und führt uns eindrü­cklich vor Augen, wie der Kapi­ta­lismus auch Farben okkupiert und die meisten Aspekte unseres täglichen Lebens durch­drungen hat.

Kunstwerk von Rozbeh Asmani
Der Kapitalismus strahlt in all seinen Farben: Kunstwerk von Rozbeh Asmani

Zwischendurch gibt es Zeit für Gespräche: Mich inter­es­sieren die Mitglieder und warum sie in der tgm sind. »Weil es bunter und viel­fältiger ist! Hier begegne ich auch Produkt­de­signern und Archi­tekten – das macht für mich einen Unter­schied zum Beispiel zur AGD« heißt es. Oder auch: »Eure Kurse und Workshops, zum Beispiel zur KI, haben mir sehr geholfen, um erste Schritte hinein in das Thema zu finden. Dabei ist von Vorteil, dass ihr das Ganze auch online anbietet, das macht es wesentlich leichter, um auch unter der Woche teil­nehmen zu können.«

die „Cosmic Bar“ im europäischen Patentamt, gestaltet von Esther Stocker
Mit Getränken und Fingerfood gute Gesellschaft pflegen in der hauseigenen »Cosmic Bar«, gestaltet von Esther Stocker

Am Ende des inspi­rie­renden Rundgangs sind wir noch in die haus­eigene »Cosmic Bar« eingeladen, die von der italie­nischen Künstlerin Esther Stocker gestaltet wurde. Knaut­schige, an Wolken erin­nernde Formen als Möbel oder Beleuch­tungs­quellen erzeugen einen klaren Gegensatz zu den linearen Schwarz-weiß-Mustern ihrer Ober­flächen und zu den geome­trischen Linien dieser Bar. Schnell finden wir bei einem Glas Wein und wirklich sehr, sehr leckerem Fingerfood zu vielen neuen Gedanken, über­ra­schenden Gesprächs­themen und tauschen unsere Freude über die Fülle an kreativen Eindrücken aus.

Was für ein wunderbarer Abend: Sympa­thisches Miteinander, geteiltes Staunen, mehr Wissen, mehr Sehen, mehr Verstehen. Ein Abend, der unsere Gesell­schaft ein klit­ze­kleines Bisschen besser gemacht hat, eben: Typo­grafie in guter Gesell­schaft.

 

Weitere Infos zur EPA-Kunst­sammlung: https://www.epo.org/de/about-us/art

Die artDates der tgm sind ein Format, bei dem unge­wöhnliche Einsichten ermöglicht werden: Besuche und Führungen durch besondere Samm­lungen, Museen, Ateliers, Corporate Collections, einschließlich inspi­rie­renden Begeg­nungen mit Künst­lerlnnen, Foto­grafen, Archi­tekten, Kuratoren. Gerne auch verbunden mit der Möglichkeit, sich hand­werklich auszu­pro­bieren und schon mal verbunden mit einem Tages­ausflug. Die artDates der tgm sind ein offenes Format: Jede, die will, kann einen Vorschlag machen. Seit vielen Jahren umsichtig von Helga Schörnig kuratiert, kultiviert begleitet von Andreas S. Müller und neugierig ausge­graben von Thomas Schlierbach.

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