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Buchbesprechung

Goldener Mythos oder goldene Metapher?

Rudolf Paulus Gorbach
14. April 2017
Bereits 1984 hatte Hans Rudolf Bosshard in seinem Rechenbuch für das Graphische Gewerbe 24 syste­ma­tische Rechtecke und deren Propor­tionen vorge­stellt. Der Goldene Schnitt ist eine davon, wenn auch die bekannteste. Damit beschäftigt sich ein Essayband »Göttlich Golden Genial«.
Das Buch »Göttlich Golden Genial. Weltformel Goldener Schnitt?« ist zur Ausstellung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation beim Hirmer-Verlag erschienen.

Historisch gesehen wurde die Proportion des Goldenen Schnittes — ursprünglich als »göttliche Proportion« gesehen — erst im 19. Jahr­hundert populär. Bekannt war sie längst (Euklid, Pacioli, Vitruv, da Vinci, Dürer). Adolf Zeising bezeichnet sie als »ästhe­tische Welt­formel«. In der Kunst­ge­schichte finden sich viele Beispiele, in denen allerdings erst nach­träglich eine »Propor­ti­ons­s­tim­migkeit« eingefügt wurde. Deshalb wird auch von einer »Mysti­fi­zierung des Goldenen Schnittes« gesprochen.

1876 stellte Gustav Theodor Fechner die belieb­testen Recht­eck­pro­por­tionen vor. Neben dem Goldenen Schnitt mit 1 zu 1,618 waren das die Propor­tionen 1 zu 1,5 und 1 zu 1,414, die spätere Proportion des DIN-Formates. Der Goldene Schnitt stand also nicht allein da.

In der Buch­ge­staltung ist die Proportion 1: 1,5 sogar tradi­tionell populärer (Roul M. Rosarivo, 1961). Was jedoch bezeugt, dass es mehrere Propor­ti­ons­systeme gibt, die gut funk­tio­nieren. Auch in der Grafik ist der Goldene Schnitt als Analyse- und Arbeits­werkzeug sehr wohl und gut zu gebrauchen. 1963 rechnete ich das »Modulor«-System von Le Corbusier, das auf die Propor­tionen des Goldenen Schnitts aufgebaut ist, in die damals im grafischen Gewerbe üblichen Maßein­heiten Punkt und Cicero um und begann, damit grafische Arbeiten zu gestalten.

Erik Spie­kermann schreibt, warum er den Goldenen Schnitt zum Gestalten benutzt. Das geht aber nicht weiter als die Aussage, dass es ihm Spaß macht, mit den Zahlen zu labo­rieren. Wolfgang Beinert reißt das Thema »Raster und Regeln« an, kommt dabei sehr schnell auf die Fibonacci-Zahlen, die erst an 13. Stelle mit dem Goldenen Schnitt über­ein­stimmen, und wiederlegt den Mythos, dass klas­sische Schriften im Goldenen Schnitt gestaltet wären.

Oliver Götze, Lieselotte Kugler (Hrg.)
Göttlich Golden Genial
Weltformel Goldener Schnitt?

224 Seiten
115 Abbildungen
178 x 230 mm
Ganzpappband
ISBN: 978-3-7774-2689-1
29,90 Euro

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