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Buchbesprechung

Gerda Breuers tiefer Blick unter die Oberfläche

Barbara Lüth
4. März 2024
Eigentlich scheint die Kenntnis über das Wirken von Frauen im Grafik­design bereits eine breite Öffent­lichkeit erreicht zu haben. Doch Gerda Breuer verortet dieses Wissen nach wie vor in einer femi­nis­tischen Paral­lelwelt.

Wenn es um die Sicht­barkeit von Frauen im Grafik­design geht, so muss die Desi­gnge­schichte immer noch aufge­ar­beitet werden. Die promo­vierte Kunst­his­to­rikerin Gerda Breuer hat bereits 2012 gemeinsam mit Julia Meer ein Stan­dardwerk zu diesem Thema verfasst (Women in Graphic Design, Jovis Verlag, 2012). Mit ihrem aktuellen Band widmet sie dem Kern­gebiet ihrer Forschung erneut eine zwei­sprachige Publi­kation. – Mit enormem Tiefgang.

Die Vorderseite eines Buches auf dunkelblauem Hintergrund. Das Buch ist grau, der Titel ist in kräftigem Orange und füllt einen Großteil der Fläche aus. Der Titel lautet: „Her Stories in Graphic Design“ Der Subtitel ist in weiß viel kleiner dazwischen gedruckt und lautet: „Dialoge, Kontinuitäten, Selbstermächtigungen. Grafikdesignerinnen 1880 bis heute. Dialogue, Continuity, Self-Empowerment. Women Graphic Designers from 1880 until Today.“
Buch-Cover

In kräftigem Neonorange leuchtet der Buchtitel der Leser*in entgegen und schafft eine unmit­telbare Asso­ziation zur Intention des Werkes: Dieses Buch will gesehen werden. Chro­no­logisch und geografisch in einzelne Kapitel unterteilt, wird das Wirken von Frauen (und vor allem Frau­en­kol­lektiven) anhand von punk­tuellen histo­rischen Bespielen im weiten Feld des Grafik­designs von 1880 bis heute beleuchtet. Dem Prozess der Selbs­t­er­mäch­tigung wird hierbei eine zentrale Rolle zuge­ordnet. Die Geschichte einzelner Figuren wird im Zusam­menhang mit ihrem jeweiligen histo­rischen und poli­tischen Kontext erzählt, um so ein Verständnis für die Vernach­läs­sigung in der Geschichts­schreibung des Grafik­design zu vermitteln.  

Ein aufgeschlagenes Buch auf dunkelblauem Hintergrund. Die linke Seite ist gelb. Über die halbe Seite ist in schwarzen und grauen großen Buchstaben gedruckt: „Professionalisierung von Gebrauchsgrafik. Professionalization of Commercial Art“ Weiter unten steht kleiner: „Designerinnen der Wiener Werkstätte. Women Graphic Designers from the Wiener Werkstätte“ Auf der rechten Seite ist in der oberen Hälfte zweispaltiger Text schwarz auf weißem Hintergrund. Die untere Hälfte zeigt eine schwarz-weiß Fotografie mit fünf Frauen aus der Wiener Werkstätte.
Historisches Gruppenfoto aus dem Jahr 1924 aus der Wiener Werkstätte. Frauen spielten dort insgesamt eine wichtige Rolle, sogar in Führungspositionen.

Der Bogen spannt sich von der Wirk­samkeit der Arts and Crafts Bewegung in England und den USA, über die Wiener Werk­stätte, die Suffra­getten und die russische Avantgarde, das Wirken von Käthe Kollwitz bis hin zur soge­nannten zweiten Welle des Femi­nismus in den frühen 1970er Jahren, weiter bis zur Bedeutung der Zines und zu den radikalen Akti­vitäten der riot girrrls in den 1990er Jahren – um nur einige zu nennen.

Der Bezug der Design Geschichte zur arabischen Welt wird zum Beispiel ebenso beleuchtet wie die Sicht­barkeit von Women of Colour oder der Einfluss von post- und queer-femi­nis­tischen Strö­mungen.

Ein aufgeschlagenes Buch auf dunkelblauem Hintergrund. Die linke Seite ist blau und zeigt eine große Abbildung. Darauf sieht man die Zeichnung eines Mannes mit geöffnetem Mund. Er blickt nach links und streckt seinen rechten Arm nach oben. Im Hintergrund der Zeichnung sind große rote hebräische Buchstaben. Auf der rechten Seite des Buches ist zweispaltiger Text schwarz auf weißem Hintergrund zu sehen. In der oberen linken Ecke ist eine Abbildung. Sie zeigt ein gezeichnetes Plakat von Käthe Kollwitz. Ein Mann mit geöffnetem Mund blickt nach links. Er streckt seinen linken Arm nach oben, seine rechte Hand liegt auf seiner Brust. Im Hintergrund steht. „Nie wieder Krieg“
Rechts das ikonische Plakat „Nie wieder Krieg“ von Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1924, links ein Plakat aus Israel aus dem Jahr 1924, nach dem Motiv von Käthe Kollwitz

Zusätzlich zur ausge­wählten Literatur im Anhang wird unmit­telbar nach dem Ende jedes einzelnen Kapitels auf die weiter­führende Literatur verwiesen ­– das ist für Leser*innen, die sich noch weiter in die Materie vertiefen wollen ungemein hilfreich.

In einem eigenen Teil sind ergänzend die Kurz­bio­grafien der im Hauptteil erwähnten Prot­ago­nis­tinnen zu finden. Auch dieser Abschnitt ist reich bebildert mit zum Teil wunder­schönen histo­rischen Aufnahmen.

Ein aufgeschlagenes Buch auf dunkelblauem Hintergrund. Die linke Seite ist schwarz. Im Querformat ist über die halbe Seite ist in orangen großen Buchstaben gedruckt: „Being a Magazine Designer is a little bit like being an Orchestra Conductor.“ Die rechte Seite ist orange. Drei Werbegrafiken der Marke Lux sind untereinander versetzt abgebildet. Die oberste zeigt die Illustration einer blonden Frau mit einem Tuch in den Händen auf schwarzem Hintergrund. Der Schriftzug „Lux“ ist groß und gelb zu lesen. Etwas kleiner unterhalb steht in Gelb: „Keeps blankets soft as new!“ Die mittlere Abbildung zeigt die Illustration einer rothaarigen Frau auf schwarzem Hintergrund. Die Frau trägt einen braunen Mantel. Sie hält ein Kleid in spitzen Fingern. Der Schriftzug „Lux“ ist groß und gelb zu lesen. Etwas kleiner unterhalb steht in Gelb: „Won’t harm any fabric water won’t harm“ Die untere Abbildung zeigt die Illustration einer blonden Frau auf schwarzem Hintergrund. Sie hält eine Teekanne in spitzen Fingern. Der Schriftzug „Lux“ ist groß und gelb zu lesen. Etwas kleiner rechts steht in Gelb: „Gone! those dishpan hands“  
Rechts eine Werbung für Lux – veröffentlicht 1924 in der deutschen Zeitung für Gebrauchsgrafik, gestaltet von der amerikanischen Gestalterin Helen Dryden, die später unter anderem das Erscheinungsbild der Vogue prägte

Das umfang­reiche Buch soll kein reines Coffeetable Book sein, dazu liegt es mit seinem rand­ab­fal­lenden Schnitt zu gut in der Hand. Das Gesta­l­tungs­­­konzept der Kommu­­ni­­ka­ti­­ons­­de­­si­g­ne­rinnen Katja Lis und Anna Voß ist eine farbige Sensation. Auf bunten Zwischen­seiten werden Zitate groß und quer­formatig inszeniert. Das leuchtende Neonorange spielt unüber­sehbar die Haup­trolle. Die kräftige Farbe blitzt immer wieder als Fußnote oder Kolum­nentitel hervor. Abgesehen vom Titel, der direkt auf den roh aufge­setzten Grauf­ein­karton gedruckt ist, ist auch das Vorsatz­papier in schwarz und leuch­tendem Orange marmoriert.

Ein aufgeschlagenes Buch auf dunkelblauem Hintergrund. Die linke Seite ist schwarz. Im Querformat ist über die halbe Seite in blauen großen Buchstaben gedruckt: „Es gibt nicht einen Feminismus, sondern viele.“ Die rechte Seite ist weiß und zeigt das Potraitfoto einer Frau. Sie ist dunkelblond und blickt direkt in die Kamera. Mitten über ihr Gesicht ist in weißen Buchstaben ein Textzitat aus einem Rapsong gedruckt. Es ist durchgestrichen. Das Zitat lautet: „Die Bitch muss bügeln, muss sein. Wenn nicht gibt’s Prügel, muss sein.“ Im untersten Teil des Bildes ist groß in schwarzen Buchstaben gelb hinterlegt der Hashtag „unhate women“ abgebildet.
Rechts die Kampagne der Initiative „Terre des Femmes“ gegen frauenverachtende Songtexte von deutschen Rappern

Es gibt mitt­lerweile viele Publi­ka­tionen zur Sicht­barkeit von Frauen im Design. Parallel dazu hat sich der Begriff Selfem­po­w­erment (zu deutsch: Selbs­t­er­mäch­tigung) zu einem gängigen Narrativ des Main­streams entwickelt. Viele Veröf­fent­li­chungen bleiben jedoch an der Ober­fläche und genügen sich mit einer nur wenig hinter­fragten zur Schau­stellung von Frauen im Design.

Gerda Breuer jedoch wagt den Blick unter die Ober­fläche und findet Antworten auf die Frage, warum Frauen bislang aus der Geschichte des Grafik­designs ausge­klammert wurden. Ihr Anliegen, die reale Geschichte von Frauen in die Desi­gnhis­to­rio­grafie zu inte­grieren, gelingt mit diesem reich bebil­derten Band: ein uner­läss­licher Beitrag zur Revision der Geschichts­schreibung von Frauen im Design.

(Barbara Lüth ist Typo­grafin und aktiv im WEIS RAUM Desi­gnforum-Team Innsbruck).

Gerda Breuer
Her stories in Graphic Design
Hardcover
18 ´ 24 cm
352 Seiten, 300 farb. und s/w Abb.
Deutsch, Englisch
Jovis Verlag, Berlin, 2023
ISBN 978-3-86859-773-8
56 Euro

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