Zukunft der Schrift. Eine Spekulation?
Im Vorwort (das hier Praescriptum heißt) schreibt der Autor Christian Stindl, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, sich lediglich mit der äußeren Form der Schrift zu beschäftigen. Über die innere Struktur der Schrift wäre nachzudenken und ob das System der Schrift überhaupt zukunftsfähig sei. Er fragt sich, ob Schriftgestaltung nicht die Gestaltung eines Schreibprozesses sei? Und er kommt dann zur Behauptung, dass eine innovative Außenform einer Schrift einzig über eine innovative Binnenstruktur zu erzielen sei.
Zur Vorbereitung werden Themen der Kalligrafie rekapituliert: Gestus und Modus, Stilus und Modus, Typos zu Eidos bis zur Dynamik. Im Kapitel Typografie stellt er entgegen, dass Kalligrafie prinzipiell geschrieben wird, während in der Typografie substanziell beschrieben wird. Weiter geht es um Konstruktionsprinzipien der Schrift. Traditionell sind sie geometrisch. Digitale Schriftkonturen werden dagegen parametrisch mit Vektoren erzeugt. Hierzu werden verschiedene Methoden vorgestellt.
Das führt zu Metatools wie »Metafont« von Donald E. Knuth (1984) und in der Folge Systeme wie Metaflop, Calligrapher, KalliCulator oder Scriptographer, die der Autor als dynamische Werkzeuge einstuft.
Alsbald wird Flusser mehrfach zitiert. Und da erinnere ich mich an einen denkwürdigen Vortrag von Vilém Flusser vor der tgm 1981, wo er das Ende der herkömmlichen Schrift prophezeite. Die lebhaften Diskussionen danach kann man sich vorstellen. Und darum geht es am Ende auch Christian Stindl. Knuth wollte die Idee hinter den handgeschriebenen Schriftzeichen verstehen, um einem Computer das Wissen von Schriftgestaltern beizubringen (Einspruch: Es gab doch die intensive Zusammenarbeit mit Hermann Zapf?).
Und dann kommt man zur »Hypertypografie«. Was vereinfacht gesagt bedeutet, dass die bisherigen Schriftzeichen ausgedient hätten. Ein neuer, bildhafter Code würde an ihre Stelle treten. Für den Bezug der Maschinen untereinander. Aber gibt es noch einen menschlichen Leser?
Das neue Schreiben würde eher dem Programmieren ähneln und sich an Apparate richten, denn (nach Flusser) »Apparate verhalten sich besser und schneller als Menschen«. Schriftgestalter sollten mehr zu Programmierern werden, um »für eine Sinngebung der Welt und seines Lebens darin frei zu machen« zu programmieren.
Und »es geht offenbar darum, das mühsame Schreiben und Lesen gänzlich auszulagern, um es folglich einer Maschine beizubringen, was wiederum die Frage nach einer adäquaten Mensch-Maschine-Interaktion nach sich zieht«.
Hypertypografie als ein bisher unbekanntes und zukünftiges Zeichensystem mit Hypertools und Hypercodes, die zu einer »Erschöpfung der formalen Gestaltung von Schrift zur Folge haben«.
Wo geht das hin? Gleichzeitig erleben wir momentan fast so etwas wie eine Renaissance des Lesens.
Jetzt habe ich dieses Buch gelesen und hätte es vielleicht doch lieber einer Maschine überlassen sollen. Aber da es gedruckt und sehr sorgfältig gestaltet ist, waren vielleicht doch menschliche Leser vorgesehen. Die Typografie des Buches ist zwar konsequent, aber auch ziemlich »nerdig«: Der Charakter der Schreibmaschinenschrift, eine untergetauchte Textstruktur, zwar akribische Kürzel für Quellen und Abbildungen, aber im Register winzigster Schriftgrad und die noch in Orange! Das kann man auch bei Tageslicht nicht entziffern und bei allen Arten von Kunstlicht ohnehin nicht. Lesen mit der Lupe; Zynismus gegenüber dem Leser? Oder sollten den Text doch nur Maschinen lesen?
Christian Stindl
Script – Über das Wesen der Schrift
128 Seiten
Schweizer Broschur
Triest Verlag, Zürich 2013
29 Euro
ISBN 978–3–03863–079–1