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Buchbesprechung

Nachhaltig drucken – Gestaltung umweltgerechter Druckprojekte

Matthias Hauer
16. Mai 2024
Nach­haltig drucken beginnt lange vor der Auswahl von Bedruckstoff und Druckerei. Nach­haltig drucken bedeutet mehr als Ökozer­ti­fikate. Nach­hal­tigkeit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Nach­hal­tigkeit ist ein ambi­va­lentes Ansinnen, ein Streben, für das es wider­sprüchliche Lösungs­ansätze gibt. Nach­hal­tigkeit ist aber eben auch das Gebot der Stunde. Unsere Aufgabe als Kreative mit Zukunft. (Verlag)

Im hand­lichen Format 12,7 × 19 cm präsentiert sich das Buch hand­schmei­chelnd, gut vera­r­beitet als flexibler Halb­lei­nenband mit abge­rundeten Ecken. Leider rundum beschnitten, was auf Dauer auf die Kosten der Halt­barkeit gehen könnte. Das kunst­stoff­haltige als »veganes Apfelleder« bezeichnete Material auf den Deckeln erinnert haptisch und auch wegen seiner grünen Farbe an ein Offset-Gummituch, mit der aufwendigen Blind- und Heiß­fo­li­en­prägung wirkt das Ganze aber etwas über­kan­didelt. Seltsam erscheint das Mitzählen des Umschlags bei der Pagi­nierung. Innen wechseln sich insgesamt 18 verschiedene Frisch- und Sekun­dä­r­fa­ser­papiere ab. Zudem kamen neben dem Offsetdruck auch Toner- und Siebdruck, aber auch Riso­grafie zum Einsatz, was weniger ein ernst­haftes, als eher ein kunst­hand­werk­liches Druck­ver­fahren darstellt – besser geeignet für schicke Hipster-Klein­auflagen als für ein Verlags­produkt. Layout und Typo­grafie sind nicht nur ansprechend, sondern funk­tio­nieren bestens und machen Lust, sich ins Buch zu vertiefen.

Ein Blick ins Buch

Der Autor Marko Hanecke ist ein routi­nierter Hersteller und dank seiner Ausbildung sein Know-how fundiert. Genauso gut weiß er sich in Szene zu setzen über seinen Newsletter (prin­tel­ligent.de) und die sozialen Medien, manchmal wiederholen sich seine Posts auf LinkedIn – auch zu diesem Buch – aber gefühlt zu häufig. Im Wechsel mit der Produk­ti­onerin Katja Knahn und dem Druck­fachmann Mario Drechsler wird Hanecke gerne von der einen Bran­chen­ver­an­staltung zum nächsten »Papier­strei­chel­sym­posium« als Vortra­gender und Dozent weiter­ge­reicht.

Der Autor versteht es gekonnt, die Kriterien einer umwelt­ge­rechten Druck­pro­duktion aufzu­zeigen, Vor- und Nachteile der verschiedenen Umwelt­labels, Mate­rialien und Produk­ti­ons­ver­fahren zu beschreiben, miteinander zu vergleichen und abzuwägen. Das Buch ist gut struk­turiert in fünf Kapitel, die Sprache verständlich und die Beispiele sind anschaulich und nach­voll­ziehbar. Viele über QR-Codes abrufbare Zusatz­in­for­ma­tionen ergänzen den Inhalt und ermög­lichen dem Leser, sich tiefer in eine Thematik einzu­graben. Hanecke lässt neben den Labels und Zerti­fi­zie­rungen für eine nach­haltige Druck­pro­duktion aber auch Themen wie Format­op­ti­mierung, sinnvolle Druck­bo­gen­auf­teilung oder Onli­ne­sam­meldruck kontra Indi­vi­du­a­l­auftrag nicht aus. Umwelt­ma­na­ge­ment­systeme wie EMAS werden erläutert. Zudem legt er Wert auf realis­tische Termin­planung – die z. B. weniger nach­haltigen LE-UV-Druck auf Papier über­f­lüssig macht – und das Hinter­fragen der Sinn­haf­tigkeit von Druck­ver­ede­lungen. Auch animiert er dazu, die Zusam­me­n­arbeit mit Druckern und Buch­bindern als Partner zu verstehen und ihre Expertise für eine gelungene Reali­sierung der Druck­produkte zu nutzen.

Die Bindung von oben, rundherum bündig beschnitten: Das ›Eingeweide‹ der Decke wird dadurch sichtbar und auf Dauer mindert es die Haltbarkeit.

Ziemlich unkritisch aber geht der Autor mit unre­gu­lierten Umwelt­zeichen um, die reine Selbst­de­kla­ra­tionen darstellen und schlecht hinter­fragbar und evalu­ierbar sind. Dazu gehören beispielsweise das aufge­führte Gmund Eco Zertifikat für die Papiere des Herstellers oder das selbs­t­er­fundene Klima­neutral-Label der Holtz­brinck-Buch­verlage. Auch unüber­sehbar ist die Nähe des Autors zur öster­rei­chischen Druckerei Gugler (derzeit nach Insol­venz­an­meldung im Sanie­rungs­ver­fahren) und die Lobpreisung des Cradle-to-Cradle-Zerti­fikats, das Jürgen Zietlow auf umdex.de sehr höflich als ein »nicht schäd­liches, aber für Print umstrittenes Label« bezeichnet. Die Kriterien dieses Ansatzes sind nämlich nirgendwo öffentlich einsehbar – ganz anders als die Best-in-Class-Umwelt­zeichen Blauer Engel oder EU Ecolabel. Für unge­nügend deinkbare Druck­farben, farbige und deshalb nicht für die Herstellung von Recy­cling­pa­pieren geeignete Papiere, aber auch die Produktion ganzer Verlags­konzerne stellt es dennoch eine gern genommene Zerti­fi­zierung dar, falls es für ein ernst­haftes Zertifikat einfach nicht reichen will. Nicht zu kurz kommen bei Hanecke aber durchaus Schlagworte wie Green­washing und die von der Verbrau­cher­zentrale als irre­führend abge­mahnte werbliche Aussage »klima­neutral«. Ohne Klimae­mis­sionen erst mal zu vermeiden sei eine Klima­kom­pen­sation nämlich wenig wert. Ruhig härter ins Gebet nehmen hätte er die schlechte Rezy­klier­barkeit der HP Indigo-Drucke (für Foto­bücher der Auflage 1 weit verbreitet) und der wasser­lös­lichen Tinten der HP Web Presses. Wenn die großen Buch­fa­briken CPI oder GGP damit nämlich alle Text­bücher bis Auflage 3000 produ­zieren (so hieß es vor Jahren zumindest), lässt sich schnell erahnen, welch massive »Vergräu­lichung« das für die Recy­cling­pa­pier­pro­duktion bedeuten wird.

Somit das Fazit des Verfassers: Mit Einschrän­kungen empfeh­lenswert!

Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2023. 284 Seiten, 32 Euro. ISBN: 978–3–87439–974–6

22.5.2024: Inter­essant hierzu auch Jürgen Zietlows Meinung zu diesem Buch auf https://www.umdex.de/nach­haltig_drucken_mit_siegeln/