Entdeckung: ein brasilianischer Designpionier mit Ulmer Wurzeln
Die Max-Bill-Retrospektive im Museu de Arte de São Paulo und die erste Biennale des Museu de Arte Moderna de São Paulo hatten 1951 neben Konkreter Kunst und Gestaltung auch die Bauhaus-Idee nach Brasilien gebracht.
Das Buch »alex wollner brasil. design visual« bringt uns nun einen Gestalter und Künstler näher, der bei der künstlerischen, kulturellen und ökonomischen Begründung des modernen brasilianischen Designs eine Schlüsselrolle spielte und der bis heute großen Einfluss auf die Designszene Brasiliens ausübt.
Erschienen ist es anlässlich der gleichnamigen Ausstellung des Museums Angewandte Kunst im Herbst 2013, als Brasilien Gastland der Internationalen Frankfurter Buchmesse war. Die Entdeckung des 1928 in São Paulo geborenen Grafikdesigners haben wir vor allem Prof. Dr. Klaus Klemp und seiner Juniorkuratorin Julia Koch im Museum zu verdanken. Schon die Ausstellung – erste Wollner-Retrospektive in Europa – war mit der Architektur von Mario Lorenz ein Glücksfall.
Das Buch präsentiert ein Lebenswerk und ist doch weit mehr als nur die Berufsbiografie eines so humorvoll kreativ wie akribisch und verantwortungsbewusst arbeitenden Gestalters. Es erzählt auch von den Umbrüchen und Neuanfängen in Deutschland und Brasilien nach 1945, und es behandelt ganz grundsätzliche Fragen zu Kunst, Design(geschichte) und Arbeitsethos. Plakate und Verlagsprojekte werden vorgestellt. Besonders hervorzuheben sind Wollners Erscheinungsbilder für die unterschiedlichsten Industrieunternehmen in Brasilien. Die Konzepte waren stets maßgeschneidert und umfassend. Manches wurde zur Markendesign-Ikone, wie beispielsweise die in ganz Brasilien bekannten Fischdosen für Coqueiro.
Das Bildmaterial ist eine Fundgrube; die hervorragenden Textbeiträge widmen sich folgenden Themen: Klaus Klemp bietet einen designgeschichtlichen Überblick, René Spitz liefert Hintergrundinformationen zur Ulmer HfG und ihren Beziehungen zu Brasilien, Malou von Muralt hat Alex Wollner interviewt. Der 2013 verstorbene Gestalterkollege und Filmemacher André Stolarski und Alex Wollner selbst stellen die einzelnen Arbeitsbereiche vor.
Er »war theoriefähig, aber nicht theoriegläubig«, so charakterisiert Klaus Klemp ihn in seinem Überblick (S.26) und betont an anderer Stelle: »Wollner geht es nicht um eine mathematische Berechenbarkeit gestalterischer Formen, auch nicht um dogmatische Systeme. Worum es ihm geht, ist eine ebenso effiziente wie ästhetische Kommunikation« (S.27).
Diesen Ansatz repräsentiert das Katalogbuch aufs Schönste. Frei von folkloristischem Lokalkolorit zeigt es ein wohl durchdachtes, nahezu unauffälliges Gestaltungskonzept: ein Layout mit variablem Seitenraster und viel Weißraum, dazu als einzige Schrift die Rotis Semi Sans – sie funktioniert im Mengensatz hervorragend, wie ich als Rotis-Skeptikerin neidlos anerkennen muss. Grundlegend ist dafür die feine Abstimmung von Zeilenlänge, Flattersatz und Durchschuss. Auch die Zweisprachigkeit ist denkbar simpel unterschieden: die englischen Spalten beginnen immer oben, die deutschen sechs Zeilen tiefer. Orientierung mit einfachsten Mitteln. Die Einbandgestaltung stammt von Alex Wollner selbst, das Layout aus seinem Studio.
Fazit: Rundum gelungen und empfehlenswert!
Klaus Klemp, Julia Koch, Matthias Wagner (Hrsg.)
alex wollner brasil. design visual
Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main;
Texte: Klaus Klemp, Julia Koch, Malou von Muralt, René Spitz, André Stolarski, Alexandre Wollner
Tübingen, Berlin, Ernst Wasmuth Verlag 2013
deutsch | englisch
324 Seiten mit vielen Abbildungen. 26,5 × 26 cm. Hardcover. 49 € inkl. MwSt.