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Zum 100. Geburtstag von Günter Gerhard Lange

Michael Lang
8. April 2021
»Die Schrift als spröde Geliebte«, dieses Zitat wird immer mit Günter Gerhard Lange verknüpft bleiben, der am 12. April 2021 Hundert Jahre alt geworden wäre. Er ist einer der bedeu­tendsten Schrift­ge­stalter des 20. Jahr­hunderts. Sein Name ist dazu unlösbar mit dem Berliner Satz­schrif­ten­her­steller Berthold verbunden, dessen lang­jähriger künst­le­rischer Leiter er war.
Günter Gerhard Lange in seinem Atelier

Er war auch Lehrer, bril­lanter und gefragter Vortrags­redner und ein nie ermü­dender Förderer von quali­tätvoller Gestaltung. Neben vielen anderen Ehrungen war er auch seit 1990 Ehren­mitglied der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München. Deshalb ist es uns eine Verpflichtung – und eine große Ehre – an diesen bemer­kens­werten Mann zu erinnern.

Redner, Lehrer und Propa­gandist der  Qualität

Lange ist als Schrift­ge­stalter berühmt. Sein Wirken für die H. Berthold AG und die schier unglaublich lange Liste der von ihm entworfenen oder über­a­r­beiteten Satz­schriften spricht für sich. Im Gedächtnis bleibt er denen, die ihn erleben durften, als bril­lanter Redner und Lehrender. Unver­gessen seine unver­mit­telten, oft brüs­kie­renden Einstiege, seine Publi­kums­be­schimp­fungen, aber auch sein Ermutigen und sein Werben für Haltung und Beharr­lichkeit. »Seien Sie nicht lau! Seien Sie entweder heiß oder kalt!«

Ihn als Redner zu erleben war eine Wucht: Mal leise, mal fast brüllend brachte er sein Anliegen für Enga­gement, Akribie in der Umsetzung und Entschie­denheit im Denken vor. Er sah nämlich weder Schrift­ge­staltung noch Typo­grafie isoliert, sondern im Kontext der anderen Kunst­gat­tungen wie Literatur, Archi­tektur, Musik und Malerei. Offenheit, Begeis­terung und Reflek­tierheit forderte er ein. »Kinder, die Augen müssen Euch glänzen!« Schon seit seinen frühen Jahren war er neben­be­ruflich Dozent, ohne allerdings einen Stil oder eine »Schule« zu begründen. Er gab gerne von seinem Wissen weiter, war aber vor allem ein Motivator. Er war sehr kritisch, sparte aber auch nicht mit Lob. Bei aller Explo­sivität, die auch gefürchtet war, war er großzügig und sensibel. 

Er sah sich als »Rufer in der Wüste«. Manfred Klein hat ihn »das Maschi­nen­gewehr Gutenbergs« genannt. Sprüche wie »Das ist wie ein unge­küsstes Mädchen, …« oder »Ich bin immer auf der Suche nach Menschen, finde aber nur Fachleute.« bekam man nur bei ihm!

Künst­le­rische Leitung bei der H. Berthold AG

Wenn er uns auch als Redner in Erin­nerung ist – seine Haupt­tä­tigkeit war die Schrift­ge­staltung. Geboren 1921 in Frankfurt an der Oder, war er jung bereits ein sehr erfolg­reicher Leis­tungs­sportler. Er absol­vierte, nachdem er früh seine Begeis­terung für Schrift entdeckt hatte, ein erstes Volon­tariat in einer Druckerei, bevor er mit Beginn des Welt­krieges eingezogen und 1940 schwer verwundet wurde. Nach Bein­am­pu­tation nicht mehr kriegs­tauglich, konnte er studieren und im Anschluss als Assistent bei Prof. Walther Tiemann arbeiten.

Er verlies 1949 ganz legal — noch vor Gründung der DDR — die russisch besetzte Zone, zog nach Berlin, studierte dort weiter und arbeitete als Gebrauchs­grafiker, aber schon seit 1950 als freier Mita­r­beiter für die H. Berthold AG. Dort stand er vor der Aufgabe, passende Schriften zu liefern. Das waren seine Entwürfe wie zum Beispiel »Boulevard«, »Champion«, »Derby« oder »El Greco«. Dazu kamen Mengen­satz­schriften wie »Arena« und »Concorde«. Zu nennen ist auch die in sehr vielen Schnitten ausge­führte Adaption der »Akzidenz Grotesk«, die als sachliche Seri­fenlose den Zeiter­for­der­nissen entsprach und ein Konkurrent zur geläufigen »Helvetica« der Schrift­gießerei Stempel war. 

Die Firma Berthold war zu diesem Zeitpunkt vor allem ein Lieferant von Blei­lettern für Handsatz und verfügte über ein sehr großes Schrift­programm. Der aufkommende Offsetdruck erforderte aber Filme als Druck­vorlagen und damit ein neues Satz­ver­fahren, den Fotosatz. Hier erkannte man recht­zeitig die Zeichen der Zeit und stellte mit der Diatype ab 1958 und den späteren Gene­ra­tionen von Foto­satz­be­lichtern geeignete Geräte bereit. 

Man kann diesen Wechsel vom Bleisatz zum Fotosatz in einem 500 Jahre alten Handwerk innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren als Revo­lution bezeichnen. So waren die folgenden Jahre von stür­mischer tech­nischer Entwicklung geprägt. Langes Leistung war der Aufbau einer großen Schrif­ten­bi­bliothek und die syste­ma­tische Neuzeichnung vieler Schriften der Bleisatz-Ära für die Erfor­dernisse des Foto­satzes. Und das tat man bei Berthold, indem man weltweit die Maßstäbe für Form- und Satz­qualität setzte. Mit der »Bodoni Old Face« schuf Lange hier, im Gegensatz zum erwarteten Schriftbild, eine warme, lesbare und geschmeidige klas­si­zis­tische Antiqua.

GGL war 1960 künst­le­rischer Leiter und seit 1970 Prokurist: Seine Tätigkeit unter­schied sich dadurch insoweit von der anderer frei­be­ruf­licher Kollegen, als er für ein einziges, großes Unter­nehmen und dessen Schrift­programm arbeitete – und nicht nur seine eigenen Entwürfe zu bear­beiten hatte. Ihm stand ein eigener Mita­r­bei­terstab im Berthold-Schrif­te­n­atelier in Tauf­kirchen bei München zur Verfügung. GGL symbo­li­sierte »Berthold« und propa­gierte weltweit deren Schriften (und deren damit verbunden Foto­satz­anlagen) auf unzähligen Vorträgen und Events. 

Doch Berthold machte einen histo­rischen Fehler: Er hielt zu lange an der analogen »stehenden Belichtung« eines Buch­sta­ben­ne­gativs auf Foto­ma­terial als Ausga­be­prinzip fest und verpasste damit den Übergang zum aufkom­menden, zunächst als »Lichtsatz« bezeichneten digitalen Satz. Dieses neue Verfahren hatte natürlich zu Beginn noch mit Auflösungs- und Quali­täts­pro­blemen zu kämpfen, was sich aber rasch änderte. 1993 wurde die H. Berthold AG aufgelöst.

Lange ging 1990, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, in den Ruhestand. Er lebte die folgenden Jahre in München, arbeitete weiter als Schrift­ge­stalter und Berater, war ein gefragter Redner und wirkte als Dozent in München und Wien. 1989 erhielt er den Goudy-Award, 1992 wurde er Ehren­mitglied des Art Director Clubs Deut­schland, 2000 erhielt er die Medaille des Type Directors Club New York und 2003 den Desi­gnpreis der Stadt München.

Der Typo­gra­phischen Gesell­schaft München war Lange sehr verbunden: im Zeitraum von 1951 bis 1994 hielt er über 15 Vorträge und etliche Kurse und Werk­statt­ge­spräche. Die tgm gab ihrem lang­jährigen Mitglied, noch zu seiner Berthold-Zeit 1983, das Buch »G.G.L.« heraus und ernannte ihn 1990 zum Ehren­mitglied. Günter Gerhard Lange verstarb am 2.  Dezember 2008 in Groß­hes­selohe bei München.

Sehr empfehlenswert:

gglange.org
Aus Anlass des 100. Geburtstags von Günter Gerhard Lange veröffentlicht seine ehemalige Mitarbeiterin und Verwalterin des künstlerischen Nachlasses von GGL Kirsten Solveig Schneider eine Website, die über das Leben und Werk des großen Gestalters informiert.

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